Nürnberg – Es ist verdammt hart, anderen beim Gewinnen zuzusehen. Während ihm alle zujubeln, Markus Söder das Mikrofon packt, sich bedankt und verbeugt vor den Delegierten, blickt Ilse Aigner keinen halben Meter entfernt auf den Boden. Als Söder von einer „neuen Etappe“ spricht und vom „gemeinsam Kämpfen“, faltet die Ministerin mürrisch einen Zettel zusammen und stopft Unterlagen in ihre Handtasche. Alles, bloß nicht mitklatschen.
Ganz rund läuft der erste Tag der neuen CSU-Ära also noch nicht. Einiges an der Inszenierung des neuen Versöhners namens Markus Söder wirkt noch bemüht – etwa, als Söder nach seiner Bewerbung für das Amt des Spitzenkandidaten seinen Bald-Vorgänger auf die Bühne winkt. Zweimal wedelt er mit beiden Armen, dann erst steht Horst Seehofer auf. Ein fester Händedruck, ein Dreher zum Publikum, dann strecken sie ihre Arme nach oben, wobei nicht klar ist, wer da welche Hand in die Höhe reißt und sekundenlang schüttelt. Söder wirkt dominanter, ballt die andere Hand zur Faust. Seehofer spielt mit – aber bloß nicht übertreiben, denkt er sich wohl, bloß halbwegs glaubwürdig bleiben.
In seiner Rede übt Söder die Versöhnung. Thematisch ähnelt er Seehofer stark, aber er ist rhetorisch spritziger, angriffsfreudiger, spricht deutlich das Islam-Thema an. Er fordert ein „Bekenntnis, was die Wurzeln im eigenen Land sind“. Bei der Sicherheit müsse der Staat stark sein, „wir brauchen die Herrschaft des Rechts“, „Opferschutz ist wichtiger als Täterschutz“. Das passt zur Strategie, möglichst viele Wähler von der AfD zurückzuholen. Als er davon spricht, die CSU müsse wieder „Anwalt der Bürger in Bayern und der Normalverdiener sein“, kann sich Edmund Stoiber nicht mehr halten. Der Ex-Ministerpräsident rappelt sich im Stuhl auf, knallt die Hand auf den Tisch. „Bravo“, ruft er, so was braucht es, um die Angst vor dem Wahl-Herbst verschwinden zu lassen. „Wer glaubt, wir geben auf, wer glaubt, wir haben Angst“, ruft Söder, „der wird sich täuschen.“ Die CSU werde um die absolute Mehrheit kämpfen, er werde sich dafür zerreißen.
So klingt Abteilung Attacke, es geht aber auch ganz leise. Söder muss zeigen, dass er auch eine soziale Ader hat, er nutzt dafür eine Anekdote über ein gutes Erlebnis in einer Palliativstation kurz vor dem Tod seines Vaters – sehr persönlich, gerade deswegen aber auch sehr heikel. Die Gratwanderung gelingt, viele im Saal sind gerührt. Es ist völlig still in diesem Moment.
Ja, der Nürnberger hat viel geübt und sich perfekt vorbereitet. Er dreht sich den Delegierten mal rechts von ihm zu, dann wieder links, hebt passend dazu die jeweilige Hand. Und er reckt, wenn seine Rede besonders wichtig sein soll, beide Zeigefinger nach oben. Wie auf Kommando klatschen sie dann. Söder ist zwar nicht aller Wunschkandidat, aber war nicht mehr aufzuhalten. „Kollektive Intelligenz“ nennen sie das Phänomen, nach heftigem Streit auf einen Schlag zusammenzurücken. Offener Widerstand ist deshalb selten. Vor der Wahl wird geunkt, 100 Prozent seien drin, immerhin wird per Handzeichen abgestimmt. Als sich Wahlleiter Joachim Herrmann nach Gegenstimmen erkundigt, hebt sich aber doch eine Hand. Dann noch eine. „Eins“, zählt Herrmann wie bei einer Auktion, „zwei“, „drei“. Nach Stimme Nummer vier ist Söder gekauft.
Was bei genauem Hinsehen weit hinten auffällt: Unter den vier Gegenstimmen ist ein sehr bekanntes Gesicht: Christa Stewens, ehemalige Sozialministerin, votiert gegen Söder. „Weil es meine Überzeugung ist“, erklärt sie und lächelt sanft. „Mehr sage ich dazu nicht.“ Auch aus der CSU München, eigentlich Söder-Fanclub, und aus Mühldorf kommen Nein-Stimmen. Andere grollen zwar, am deutlichsten Aigner, heben aber die Karte. Wenn auch wie sie nur halbhoch, Ellbogen am Tisch, gerade so, dass der blaue Karton noch erkennbar ist. Es ist wie ein Ja unter Vorbehalt: Mal sehen, ob Söder bei der Landtagswahl ein gutes Ergebnis holt, sonst platzt die Ruhe.
Einer, den Söder nicht mehr überzeugen muss, steht lang nach Ende des Parteitags noch im leeren Saal, redet eindringlich auf Zuhörer am Bühnenrand ein. „Er hat für die CSU den Kampf aufgenommen um die verlorenen Stimmen“, sagt Edmund Stoiber. Er erkennt sich in jungen Jahren in Söder wieder – die Rhetorik, der Biss, der Drang, sich mit nichts zufriedenzugeben. Und die Not, gegen Widerstände zu ackern.