Vom Blick auf die leisen Koalitionsverhandlungen in Wien darf die deutsche Politik etwas lernen. Erstens: Man kann eine Regierung bilden. Zweitens: Das geht sogar ohne dämliche Winke-Winke-Bildchen auf Balkonen. Und, das ist leider ernst, drittens: Der Preis für jahrzehntelange großkoalitionäre Behäbigkeit, die den Staat verfilzen und an manchen Stellen faulen lässt, ist die Regierungsbeteiligung einer in Teilen rechtsradikalen Partei. Die FPÖ führt nun mit Innen-, Außen- und Verteidigungsressort zentrale, wirkmächtige Ministerien.
Der junge konservative Kanzler Sebastian Kurz wird mit seiner Strahlkraft einiges dieser bedenklichen Entwicklung überdecken. Er ist zweifellos ein Gewinn für Europas Politik – glänzende Manieren, starkes Auftreten, inhaltliche Prinzipien und Reformmut. Wer unter den deutschen Konservativen ihn vergöttert, sei dennoch an Kurz’ Wahlergebnis erinnert: 31,5 Prozent für die ÖVP, ein Wert, den noch nicht mal Merkel unterbieten konnte. Als Wunder zur politischen Seligsprechung taugt das, trotz erkennbar starkem Aufwärtstrend, noch nicht.
Kurz hat die wahre Herausforderung noch vor sich: Klug und seriös regieren, gleichzeitig den fast auf Augenhöhe agierenden Koalitionspartner FPÖ überflüssig machen. Unter anderem sein erfolgreiches Handeln als Außenminister in der Flüchtlingskrise spricht dafür, dass Kurz es im Kreuz hat. Ein Scheitern wäre fatal: Eine zweite Reihe hinter dem Hoffnungsträger haben die Konservativen nicht mehr. Dann ist der Weg frei für einen FPÖ-Kanzler.
Christian Deutschländer
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