SPD-Parteitag

Bayerischer Wahlkampf via Berlin

von Redaktion

von Mike Schier

München – Die Genossen wollen sich Zeit nehmen. Um 11 Uhr beginnt heute in Berlin der Parteitag. Erst gibt es ein paar Formalien: Wahl des Tagungspräsidiums, Wahl der Mandatsprüfungs- und Zählkommission. Solche Sachen. Doch dann darf gleich Martin Schulz sprechen. Oder besser: Er muss. Er muss seinen Parteifreunden sagen, dass er eigentlich mit der Union überhaupt nicht über eine Große Koalition reden will, aber leider nicht anders kann.

Und dann haben die Parteifreunde das Wort. Aussprache. Den ganzen Nachmittag. Am lautesten werden die Gegner einer GroKo sein, aber am Ende dürfte der Vorstand mit seiner vorsichtig formulierten Position eine Mehrheit bekommen. Gespräche ja, aber noch keine Sondierungen. Und schon gar keine Vorfestlegung auf eine Fortsetzung.

Die SPD hat Redebedarf. Sie quält sich diesen Gesprächen mit der Union entgegen. Und heute muss das alles raus. Die Wahl des neuen Vorstands dürfte sich deshalb bis in den Abend ziehen. Richtig interessiert hat sich dafür zuletzt ohnehin kaum jemand. Thema war höchstens, wie viel Schulz von seinen 100 Prozent beim letzten Parteitag verliert. Dabei ist zumindest aus bayerischer Sicht auch eine zweite Personalie spannend: Natascha Kohnen soll zur Vize-Vorsitzenden aufsteigen. Die letzte bayerische SPD-Politikerin, die es bundesweit so weit nach oben schaffte, hieß Renate Schmid. Das ist schon ziemlich lange her.

„Meine Absicht ist, den Kopf der SPD nach Süden zu richten“, sagt die 50-Jährige aus dem Landkreis München. Die Probleme in München und Stuttgart seien andere als im Norden oder Westen. Doch NRW und Niedersachsen dominieren seit Jahren den Kurs der Partei. „Der Mindestlohn ist für die Lebensumstände im Süden viel zu niedrig“, nennt Kohnen ein Beispiel. Das Thema Mieten und Wohnen dränge hier noch mehr. Und ganz nebenbei bemerkt Kohnen: „Im Süden werden auch Wahlen gewonnen.“ Auf Dauer kann sich die Partei schwächelnde Landesverbände in Bayern und Baden-Württemberg nicht leisten.

Womit man beim eigentlichen Thema wäre: Kohnen, die erst mit Mitte 30 in die Partei eintrat, will sich über den Umweg Berlin für den bayerischen Wahlkampf aufstellen. Ihr Aufstieg verlief zuletzt rasant – erst im Mai wurde sie Landeschefin, vor wenigen Wochen Spitzenkandidatin, nun der Stellvertreterposten hinter Schulz. Doch noch immer kennen viele Bayern Kohnen nicht.

Das soll sich ändern. Der Posten in Berlin weckt Neugier auf die Neue aus dem Freistaat: In dieser Woche gab Kohnen Interviews in der „Rheinischen Post“ (Düsseldorf) und der „taz“ (Berlin), schon melden sich die großen Talkshows von ARD und ZDF mit ersten Anfragen. Vertreter der Bayern-SPD suchte man dort im letzten Jahrzehnt vergebens. Geht der Plan auf, könnte die Kandidatin der strauchelnden Genossen im Herbst 2018 plötzlich auf anderer Ebene mit einem Markus Söder konkurrieren als die Oppositionskollegen von Freien Wählern, Grünen und Bayern-FDP. Auch die AfD aus dem Freistaat spielt auf bundespolitischer Ebene keine Rolle.

Doch der Erfolg bei der Landtagswahl hängt auch von den Verhältnissen in Berlin ab. „Man muss mutiger denken und alle Möglichkeiten ehrlich in Erwägung ziehen“, sagt Kohnen. Minderheitsregierung, projektbezogene Zusammenarbeit, zeitliche Befristung. Es sei gut, das Tempo rauszunehmen, sich nicht in eine Koalition drängen zu lassen. Mutiger denken? „Die Kreativität kommt jetzt erst langsam in Gang.“

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