Berlin – Die SPD-Spitze will nun doch mit der Union über eine Regierungsbildung sprechen, zieht aber viele rote Linien. Die SPD wolle ein „Maximum“ ihres Wahlprogramms durchsetzen, sagte Parteichef Martin Schulz gestern in Berlin. Die Umsetzung zahlreicher Punkte für ein sozial gerechteres Deutschland und Europa sei für die SPD „essenziell und die Kernsubstanz sozialdemokratischer Programmatik“. Am Donnerstag soll ein SPD-Parteitag in Berlin grünes Licht für das Ausloten einer möglichen erneuten Zusammenarbeit mit CDU und CSU geben.
Zu den Forderungen, die der SPD-Vorstand bei nur einer Enthaltung beschloss, zählen die Einführung einer Bürgerversicherung, ein humanitärer Familiennachzug bei Flüchtlingen mit eingeschränktem Schutz (was vor allem die CSU ablehnt), ehrgeizige Ziele beim Klimaschutz, eine Solidarrente gegen Altersarmut und ein gesetzliches Rückkehrrecht von Teil- auf Vollzeit.
Der vierseitige Antrag mit der Überschrift „Unser Weg. Für ein modernes und gerechtes Deutschland“ wird nun dem Parteitag zur Abstimmung vorgelegt. Geben die Delegierten ihr Okay, will Schulz sich in der kommenden Woche mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und CSU-Chef Horst Seehofer zusammensetzen. An dem Treffen soll auch SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles teilnehmen. Nach den Worten von Schulz sollen am 15. Dezember dann die SPD-Spitzengremien entscheiden, ob und wie weitere Gespräche mit der Union geführt werden. „Es gibt für uns keine Vorfestlegungen und keinen Automatismus“, sagte Schulz. Aus Sicht der SPD gebe es auch keinen Zeitdruck, weil Deutschland eine handlungsfähige geschäftsführende Regierung habe.
Auch Nahles sagte, die Sozialdemokraten wollten sich nicht hetzen lassen. „Es ist jetzt mal wieder an der SPD, den bestmöglichen Weg zu finden, wie wir zu einer konstruktiven Lösung finden können.“
Die SPD geht davon aus, dass es nicht mehr vor Weihnachten, sondern erst im Januar bei Gesprächen mit der Union ernst wird. Nach einer kurzen, etwa zweiwöchigen Sondierungsphase soll ein kleiner Parteitag (Konvent) einberufen werden, um abzustimmen, ob überhaupt konkret mit der Union über eine Koalition, eine Tolerierung einer Minderheitsregierung, „eine andere Form der Kooperation“ verhandelt werden soll – oder die SPD sich in das Wagnis Neuwahlen stürzt.
Sollte ein Koalitionsvertrag mit CDU und CSU zustande kommen, hätten ohnehin die SPD-Mitglieder das letzte Wort. Dieser Fahrplan dürfte sich bis Februar oder März hinziehen. Die SPD sei sich ihrer Verantwortung für das Land bewusst, heißt es in dem Vorstandsbeschluss. „Es kann uns nicht gleichgültig sein, ob eine Bundesregierung zustande kommt oder am Ende Neuwahlen stattfinden werden. Deswegen fühlen wir uns verpflichtet, in Gesprächen auszuloten, ob und in welcher Form die SPD eine neue Bundesregierung mittragen kann.“
Vor zwei Wochen hatte die SPD-Führung noch geschlossen gegen eine Neuauflage der Großen Koalition gestimmt und sich offen für Neuwahlen gezeigt. Schulz und den Spitzengenossen dürften auf dem Parteitag heftige Auseinandersetzungen bevorstehen. Der SPD-Nachwuchs von den Jusos hat eine „No-GroKo“-Online-Petition gestartet.
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sagte nach dem Vorstandsbeschluss, sie sehe einige Vorzüge für die Unterstützung einer Minderheitsregierung.
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) ist gegen eine Neuwahl des Bundestages. Dies wäre das „schönste Weihnachtsgeschenk“ für die AfD, schrieb er bei Facebook. „Die Politiker können doch nicht so lange wählen lassen, bis sie mit dem Ergebnis etwas anfangen können.“