Deutschland/Frankreich

In Paris wächst die Ungeduld mit Berlin

von Redaktion

Von Thomas Lanig und Christiane Böhmer

Berlin/Paris – Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kann sich mit gutem Grund im Stich gelassen fühlen. Da hatte er seine große Europarede schon auf die Woche nach der deutschen Bundestagswahl geschoben, in der Gewissheit, dass der wichtigste Partner vorher vor allem mit sich selbst beschäftigt ist. Doch das ist jetzt zehn Wochen her, und Berlin schert sich immer noch nicht um Macrons Reformprojekt für Europa. Immerhin: Eine Koalition von Angela Merkel mit der FDP wird es wohl nicht geben. Aufatmen in Paris.

Zur Erinnerung: Zwei Tage nach der Wahl in Deutschland fordert Macron in seiner Rede an der Universität Sorbonne einen gemeinsamen Haushalt für die Eurozone, einen Euro-Finanzminister, eine europäische Steuer auf Finanztransaktionen und vieles mehr. Merkel lehnt nichts davon grundsätzlich ab, bekannt zu einzelnen Reformen hat sie sich aber nicht. Mit der FDP in einer Jamaika-Koalition wäre das alles nicht zu machen gewesen, aber auch die CSU hat arge Bedenken.

Doch jetzt kommt die SPD als möglicher Partner einer neuen Großen Koalition ins Spiel. Zu den Sozialdemokraten hat Macron als früherer Sozialist und Berater von Ex-Präsident François Hollande enge Beziehungen. Und die SPD nutzt schon einmal die Gelegenheit, Druck auf Merkel zu machen. In den großen Fragen der Europapolitik und mit Blick auf Macrons Ideen fehle es der Kanzlerin an Führungsstärke, sagt SPD-Vize Olaf Scholz. „Die Zeit des Durchlavierens ist vorbei.“ Gleichzeitig hofft die Kanzlerin darauf, die SPD gerade wegen ihrer europapolitischen Verantwortung in die Pflicht nehmen zu können.

In Paris wird die Ungeduld nur mühsam kaschiert. Macron äußert sich zwar nicht selbst, doch der neue Regierungssprecher Benjamin Griveaux lässt deutlich erkennen, dass Paris sehr an stabilen politischen Verhältnissen interessiert ist. Ohne den großen EU-Partner werde es mit den ehrgeizigen Reformvorhaben Macrons schwierig, lautet die Botschaft aus der Pariser Machtzentrale.

Dass eine Große Koalition in Berlin die Dinge in Frankreich einfacher mache, wird an der Seine zwar signalisiert, aber mit Rücksicht auf die deutsche Innenpolitik nicht laut gesagt. Offen ausgesprochen werden hingegen deutliche Vorbehalte gegen die FDP: „Wir in Frankreich hoffen auf ein Europa, das seine Bürger beschützt. Die Liberalen denken immer an den Markt“, sagte der Macron-Vertraute und Fraktionschef der Präsidentenpartei La République en Marche, Richard Ferrand, unlängst der „Zeit“.

Ungeachtet aller Appelle und Beschwörungen läuft es im Tagesgeschäft Berlin/Paris offensichtlich überhaupt nicht rund. „Deutsch-französischer Riss“ – so analysierte die angesehene Tageszeitung „Le Monde“ den spektakulären Brüsseler Beschluss zum Unkrautvernichter Glyphosat. „Glyphosat vergiftet alles – selbst die französisch-deutschen Beziehungen!“, mokierte sich das Enthüllungsblatt „Le Canard Enchaîné“.

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