München – Bis zum Donnerstag scheint alles klar. Jörg Meuthen gilt als AfD-Bundesvorsitzender gesetzt, und mit Georg Pazderski aus Berlin bewarb sich früh ein bekannter Mann als Co-Sprecher. Doch dann plötzlich machen Gerüchte um Alexander Gauland die Runde. Dass der Fraktionsvorsitzende auch für den Parteivorsitz kandidieren könnte, nur um Pazderski zu verhindern. Mit der Ruhe in der AfD ist es seitdem dahin.
Am Wochenende wählen die rund 500 Delegierten (davon 80 aus Bayern) in Hannover damit nicht nur den neuen Bundesvorstand. Sie ringen auch um Macht und Ausrichtung der Partei. Der Ausgang? Wie immer offen bei dem „gärigen Haufen“, wie Meuthen seine Partei gerne nennt. „Es kann durchaus sein, dass es auch diesmal Überraschungen gibt.“
Meuthen, der mächtige Mann aus Baden-Württemberg, der die Partei seit dem Abgang von Frauke Petry alleine führt, dürfte von den Machtspielchen wohl verschont bleiben. Der Wettstreit zwischen liberal-konservativen und national-völkischen Strömungen wird auf der Position neben ihm ausgetragen werden. Pazderski (66) gilt einigen als zu liberal, weil er „Vernunft statt Ideologie“ predigt und das Parteiausschlussverfahren gegen den Thüringer Rechtsaußen Björn Höcke unterstützt hat. Gauland dagegen gilt als Höcke-Befürworter und wird dem „Flügel“ zugerechnet. Wegen seines Alters (76) trauen ihm viele aber die Doppelbelastung als Fraktions- und Parteichef nicht zu. Schon jetzt trägt er ständig einen Medikamentenkoffer bei sich.
„Am Ende dürften sich die Vorstandswahlen mal wieder ziehen“, sagt ein Delegierter. „Es könnte viele Spontankandidaturen geben.“ Erst voriges Wochenende bewies die bayerische AfD, wie diskussionsfreudig die Mitglieder an Parteitagen sind: Nach zwei vollen Tagen konnten die Beisitzer aus Zeitgründen gar nicht mehr gewählt werden. Gerade diese Posten sind aus bayerischer Sicht beim Bundesparteitag aber bedeutend: Sowohl Peter Boehringer aus Schwäbisch Gmünd als auch Petr Bystron aus München kandidieren. „Wir hoffen, beide durchzubringen“, sagt Gerold Otten, der Vize-Landeschef aus dem Kreis München. „Wir wollen ein verstärktes Gewicht im Bundesvorstand bekommen.“ Bislang saß mit Dirk Driesang nur ein Bayer im Bundesvorstand. Er kandidiert nicht mehr. Bystron ist zuversichtlich: „Die Mitglieder wollen uns beide haben.“
Spannend sind aber nicht nur die Wahlen, sondern auch die Diskussion drumherum: Die Partei kann entscheiden, wie sie mit Rechtsaußen Höcke umgehen wird, gegen den ein Parteiausschlussverfahren läuft. Dass er selbst für einen Sitz im Bundesvorstand antritt, gilt als unwahrscheinlich. Sein Einfluss ist auch so groß genug. Es verdichten sich aber die Zeichen, dass Höcke rehabilitiert wird – obwohl selbst die Partei in einem internen Gutachten zu dem Schluss kommt, dass Höcke eine „übergroße Nähe zum Nationalsozialismus“ habe und die NPD nachweislich unterstützt habe.
Alles egal, alles vergessen – zumindest, wenn die Delegierten Antrag SO-9 folgen, zu finden auf Seite 118 des vorläufigen Antragsbuchs. Das Ausschlussverfahren sei unverhältnismäßig und spalte, heißt es vom Kreisverband Ostprignitz-Ruppin (Brandenburg). Die Forderung: Das Verfahren einstellen, „mit sofortiger Wirkung“. In einem Antrag aus Würzburg steht, die Erstellung des Gesinnungs-Gutachtens solle Frauke Petry und ihren damaligen Unterstützern in Rechnung gestellt werden.
Vermutlich wird es zu beidem keine Entscheidung geben, da nach Infos unserer Zeitung gar nicht abgestimmt werden soll. Das Stichwort lautet: Nichtbefassung. „Sonst haben wir eine hitzige Diskussion, die unheimlich viel Zeit raubt“, sagt ein Parteifunktionär. Schon beim Programmparteitag in Köln im April waren viele (kritische) Anträge vertagt worden.
Das dürfte auch der „Alternativen Mitte“ zugute kommen. Die AfD-Gruppierung, die sich von Bayern aus fast im gesamten Bund etablierte und sich für liberale-pragmatische Themen einsetzt, steht parteiintern massiv unter Druck. Rechtere Strömungen wollen sie nicht nur kleinhalten, sondern sogar verbieten. Es gebe eine „Unvereinbarkeit“ mit der AfD, heißt es in Antrag SO-35 von Höcke-Freunden.
Die Polizei in Hannover stellt sich derweil auf ein ungemütliches Wochenende ein. Bis zu 8500 AfD-Gegner werden im Umfeld des Parteitags erwartet. Das Kongresszentrum wird teilweise mit Stacheldraht-Rollen gesichert. Hunderte Polizisten sind im Einsatz.