Brüssel/London – London und Brüssel nähern sich im Streit um die Brexit-Schlussrechnung offensichtlich einer Einigung. Großbritannien hat nach Angaben der Europa-SPD erstmals ein detailliertes Angebot für Zahlungen vorgelegt, das auf wichtige Forderungen der EU eingeht. EU-Chefunterhändler Michel Barnier bestritt allerdings gestern, dass es einen Durchbruch gebe: „Wir arbeiten noch daran, wir haben es noch nicht geschafft.“
Alle Augen richten sich nun auf ein Treffen von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit der britischen Premierministerin Theresa May am Montag. Dann soll nicht nur die Grundsatzeinigung bei der Schlussrechnung, sondern auch bei zwei weiteren umstrittenen Themen geschafft sein: den künftigen Rechten von EU-Bürgern in Großbritannien und der Vermeidung einer Grenze zwischen Irland und Nordirland.
Britische Medien hatten von einer Grundsatzeinigung berichtet. Demnach wird London – je nach Auslegung einer vereinbarten Berechnungsmethode – zwischen 45 und 55 Milliarden Euro zahlen. Offizielle Stellen in Brüssel und London bestätigten diese Summe auf Anfrage zwar nicht, signalisierten aber Fortschritte.
Der Chef der SPD-Abgeordneten im Europaparlament, Jens Geier, bestätigte zumindest, dass ein Angebot aus London vorliege und dieses „akzeptabel“ erscheine. Er bezog sich auf Informationen der Labour-Opposition in London. Der Charme für Großbritannien sei, dass das Angebot keine Summen enthalte. Das habe die EU aber auch nie gefordert, sagte Geier. Wichtig sei die Bestätigung, dass unter anderem langfristige Pensionszahlungen der EU anteilig mitbezahlt würden.
Großbritannien will Ende März 2019 aus der Europäischen Union austreten. Brüssel pocht darauf, dass London seinen Anteil für gemeinsam getroffene Finanzentscheidungen bezahlt – für den EU-Haushalt, gemeinsame Fonds und Pensionslasten. Inoffizielle EU-Berechnungen gehen von bis zu 100 Milliarden Euro aus. May hatte bei einer Rede in Florenz 20 Milliarden Euro ins Spiel gebracht.
Die jüngsten Berichte lösten in London wieder Kritik an May aus. Der ehemalige Chef der EU-feindlichen Ukip-Partei, Nigel Farage, sprach von einem „Ausverkauf“. „Ich habe immer argumentiert, dass kein Deal besser ist als ein schlechter“, sagte der Europaparlamentarier.
Der Chef der Liberalen, Vince Cable, kritisierte den „hohen Preis für das Verlassen einer Institution, die unser Land über Jahrzehnte bereichert hat“. Seine Partei forderte erneut ein zweites Referendum, damit die Briten neu über den Brexit abstimmen können. Der Labour-Abgeordnete Chuka Umunna beklagte, dass Brexit-Befürworter wie Außenminister Boris Johnson niemals gesagt hätten, dass es eine „hohe Rechnung für die Scheidung“ geben werde – ganz im Gegenteil“.
Den meisten Briten dürfte eine Schlussrechnung von 45 bis 55 Milliarden Euro schwer auf den Magen schlagen: Nach einer Umfrage halten weniger als elf Prozent aller Wähler eine Summe von über 30 Milliarden Euro für akzeptabel. Verena Schmitt-RoschmANN UND SILVIA KUSIDLO