„Das ist eine Zermürbungstaktik“

von Redaktion

Alle paar Tage ein Rempler gegen Seehofer: In bemerkenswert konstanter Folge melden sich seine Kritiker zu Wort

München – Am Wahlabend, geschockt vom 38-Prozent-Ergebnis und gehetzt zwischen zwei TV-Interviews, sagte Horst Seehofer einen heiklen Satz. „Keine Sekunde“ denke er an Rücktritt. Keine Sekunde? Jeden Moment denken Politiker nach einer solchen Niederlage daran, ob sie sich im Amt halten können. In seinem Fall kommt nun hinzu: Seine Parteifreunde erinnern ihn regelmäßig daran. So regelmäßig, dass es allmählich auffällt.

Dieses Wochenende fand ein elf Tage alter Brief von acht oberbayerischen CSU-Kreisvorsitzenden den Weg zum „Spiegel“. Darin artikulieren sie die Sorge um die CSU und bitten um einen personellen Übergang. Das Schreiben der Kreischefs unter anderem aus München-Land, Freising, Erding und Berchtesgaden ist höflich formuliert, wird aber durch die mediale Interpretation brisant: Die Basis erhöhe den Druck auf Seehofer, titelt das Magazin. Der informierte Leser staunt: Schon wieder!

Tatsächlich fällt auf, dass seit der Wahl alle drei bis fünf Tage Seehofers Gegner Schlagzeilen machen. Nie erfunden, stets auf der Basis des wirklich existierenden Grolls, aber in großer Regelmäßigkeit. Es begann mit den nichtöffentlichen Sitzungen der Bezirksvorstände der CSU in der Oberpfalz, in Niederbayern und in Oberfranken: Jeweils wurde erheblicher Unmut über Seehofer nach draußen vermeldet, prominent gedruckt und gesendet.

Jedes Mal gelang es dem CSU-Chef, die Parteifreunde hinterher auf die Formel festzulegen, die Personaldebatte erst am Parteitag zu führen. Damit bändigte er den Zorn der Landtagsfraktion, auch die intern sehr kritische Spitze der Jungen Union. Doch kaum wurde es still, begann der nächste Zirkel – eine Art Hase-und-Igel-Spiel. Seine Gegner in München beriefen gar eigens eine Sitzung mehrerer Kreisvorsitzender ein, zu der ausschließlich Kritiker geladen wurden – diesmal wurde „Bild“ mit Informationen aus der Runde versorgt, die zudem androhte, in Kürze ein Papier zu verfassen. Es folgten Sitzungen der Landtagsabgeordneten aus den jeweiligen Bezirken, nun mit Meldungen über Unmut aus Ober- sowie Niederbayern. Dann ein Auftritt des Münchner Bürgermeisters Josef Schmid, der seinen Wechsel in die Landespolitik ankündigte und das mit scharfer Kritik an Seehofer verband.

Der öffentliche Eindruck ist: Es brennt an allen Ecken. Falsch ist das nicht, allerdings nur die halbe Wahrheit. Seehofers Unterstützer gibt es auch, nur sind die Tag und Nacht bei den Sondierungen in Berlin gebunden. „Die anderen sind lauter als wir“, sagt einer. Manches erfahren Seehofers Getreue auch erst, wenn es zu spät ist. So bekam den Brief aus Oberbayern nur die Hälfte der 22 Kreisvorsitzenden je zu Gesicht. Der fest loyale Weilheimer Alexander Dobrindt spöttelt, bei ihm habe es „überraschenderweise keiner probiert“, das bestätigen mehrere Kollegen. Der Bezirksvorsitzenden Ilse Aigner, ebenfalls an Seehofers Seite, wurde das Schreiben diskret in den Briefkasten geworfen – unmittelbar nachdem sie noch mit mehreren Unterzeichnern zusammensaß. Gesagt hatte keiner was.

„Das ist eine stillose Zermürbungs- und Partisanen-Taktik“, heißt es in Seehofers Umfeld, und immer seien Vertraute des größten Rivalen, Markus Söder, beteiligt. Das mag sein, ist aber wohl zu einfach gedacht. Söder dürfte mit der auffälligen Ballung kaum gedient sein. Auch sagt er seit Monaten kein kritisches Wort direkt über Seehofer. Die Briefeschreiber wollen sich ebenso nicht in eine Orchestrierung einreihen; es sei ihnen nur um die Zukunft der CSU gegangen, intern, nicht um Durchstecherei.

Wobei sich mancher daran erinnert, dass bei Rempeleien über die Medien Seehofer selbst auch nie zimperlich war. Christian Deutschländer

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