München/Barcelona – Nun soll also die EU helfen. Kataloniens Außenminister Raül Romeva hat die Kommission der Europäischen Union darum gebeten, sich einzumischen. Die Lage in seiner Heimatregion ist angespannt. Seit Wochen schon und umso mehr, je näher die umstrittene Abstimmung über die Unabhängigkeit der Region im Nordosten Spaniens rückt.
Am 1. Oktober soll das Referendum über die Bühne gehen, zumindest nach dem Willen der Regionalregierung. Es sind also nur noch wenige Tage bis zum kritischen Datum, die Lage spitzt sich zu. „Die Demokratie in Spanien zerfällt Tag um Tag“, sagte Romeva gestern vor Journalisten in Brüssel. „Als Hüterin der (EU-)Verträge kann die Europäische Kommission nicht länger argumentieren, dass das eine inländische Angelegenheit ist.“
Die Kommission müsse, so argumentierte der Außenminister der autonomen Regionalregierung, den Vertrag der Europäischen Union verteidigen und für das Allgemeinwohl der katalanischen Bürger einstehen. Schließlich seien auch sie EU-Bürger. Die Union verkenne, dass es sich bei Spaniens Vorgehen gegen das Referendum in Katalonien um einen „schweren Angriff auf die demokratischen Strukturen“ handle.
Der Angriff – oder das, was die Regionalregierung so bezeichnet: Die spanische Zentralregierung versucht, mithilfe der Polizei das für diesen Sonntag geplante Referendum zu verhindern. Anfang September hatte das katalonische Parlament mit großer Mehrheit das Referendumsgesetz verabschiedet. Es bildet die Grundlage für die Volksabstimmung.
Doch die Madrider Zentralregierung wehrte sich, reichte Beschwerde ein, und das spanische Verfassungsgericht ließ sie zu. So setzte es das katalonische Gesetz einen Tag nach dem Beschluss wieder aus. Das Gericht ermahnte die Regionalregierung auch, jegliche Initiativen zu verhindern oder zu stoppen, die das ignorieren. Die Staatsanwaltschaft wies die Polizei an, gegen alle Aktionen vorzugehen, die das Referendum vorbereiten oder dazu dienen, es abzuhalten.
Seit dieser Gerichtsentscheidung gab es erste Polizeieinsätze, die die Logistik für die Abstimmung beeinträchtigten. Fast zehn Millionen Stimmzettel und mehr als 1,5 Millionen Plakate und Broschüren wurden beschlagnahmt, 14 Menschen festgenommen, dazu gehören ranghohe Mitglieder der Regionalregierung. Aus Sicht der spanischen Regierung ist die Logistik für das Referendum zerschlagen.
Der katalonische Außenminister Romeva sagte, es gehe um Gewaltenteilung, Grundrechte und Redefreiheit. Das Brüsseler Schweigen sei kein Ausdruck einer neutralen Haltung, sondern werde von der Regierung in Madrid als Unterstützung ihrer „repressiven Handlungen“ verstanden. Doch nicht nur er fleht um Hilfe der EU. Auch die Bürgermeisterin von Barcelona bat die EU-Kommission um Vermittlung. Sie müsse vermittelnd in den Streit eingreifen, um eine „demokratische Lösung“ zu finden, so Ada Colau. Der Konflikt habe unabsehbare Folgen.
Die Angst vor Aufhebung der Rechte, vor Diktatur reicht in eine tatsächliche Diktatur zurück. Unter der Herrschaft von General Francisco Franco (1939-1975) wurden die Sprache und Kultur der Katalanen unterdrückt, sie wurden der Zentralisierung geopfert. Die Ursprünge der Autonomierechte reichten bis ins Mittelalter zurück, doch Francos Regime schaffte sie weitgehend ab. Es entmündigte Regionen wie das Baskenland und Katalonien wirtschaftlich und politisch. Doch die Katalanen verteidigten ihr Volksgut und ihre Sprache hartnäckig, immerhin sind sie die größte sprachliche Minderheit in Westeuropa.
Als Spanien Mitte der 1970er zur Demokratie überging, nährte das die Katalanen in ihrem Streben nach Selbstbestimmung. Ihr Nationalismus kommt jedoch ohne gewaltsame und extremistische Strömungen aus – im Unterschied zu dem im Baskenland. Zuletzt befeuerte die spanische Wirtschaftskrise vor etwa fünf Jahren den Kampf um die Unabhängigkeit Kataloniens. Jetzt haben ihre Verfechter vor, innerhalb von 48 Stunden nach Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses die Abspaltung von Spanien zu verkünden.
Doch die Logistik ist stark beeinträchtigt – und so werden am Wochenende vor allem Bilder wichtig werden. Für beide Seiten. mit dpa/afp