München – Der französische Präsident hat sich die große Bühne ausgesucht. Universität Sorbonne, großer Saal, im Herzen von Paris. Hinter ihm sitzen junge Menschen, die abwechselnd ernst schauen und begeistert klatschen. Die Botschaft ist klar: Emmanuel Macron geht es an diesem Dienstagnachmittag um grundsätzliche Fragen. Um die Zukunft Europas.
Seine Rede ist seit langem angekündigt. Er beginnt sie mit einer verbalen Attacke auf die Rechtspopulisten in ganz Europa, denen die vielen Pro-Europäer lange zu wenig entgegen gehalten hätten. Macrons Kernbotschaft: Die europäische Idee, das friedliche Miteinander der Nationen, ist wichtig und muss unbedingt erhalten bleiben. Allerdings gebe es jede Menge Verbesserungsbedarf – die EU sei „zu langsam, zu schwach und zu ineffizient“.
Was dann in den nächsten knapp zwei Stunden folgt, dürfte EU-Skeptikern den Angstschweiß auf die Stirn treiben. Frankreichs Präsident will die Zusammenarbeit der europäischen Staaten auf fast allen Gebieten vorantreiben. Beispiel Verteidigungspolitik: Hier fordert Macron ein gemeinsames Budget, eine Art Austauschprogramm für Soldaten der verschiedenen Armeen und eine gemeinsame Eingreiftruppe ab 2020.
Zwei Tage nach der Bundestagswahl bietet Macron Deutschland eine neue und vertiefte Partnerschaft an. Vorstellbar sei, bis 2024 „unsere Märkte vollständig zu integrieren“ – mit denselben Regeln und Steuersätzen für Unternehmen in Frankreich und Deutschland. Die „neue Partnerschaft“ könne man am 55. Jahrestag des Elysée-Vertrags am 22. Januar 2018 besiegeln.
„Wir werden sicher nicht über alles einig sein“, sagt Macron. „Aber wir werden über alles diskutieren.“ In Deutschland sehen weite Teile der Union und besonders die FDP Macrons wirtschaftspolitische Vorstellungen kritisch. Der Zeitung „Le Monde“ zufolge soll Macron schon vor Wochen gesagt haben, wenn die FDP der nächsten Bundesregierung angehöre, sei er erledigt.
Von Zweifeln ist bei seiner Rede in Paris allerdings nichts zu spüren. Ausführlich widmet sich Macron auch dem Thema Flucht und Migration. Er plädiert für einen strengen Schutz der EU-Außengrenzen, um illegale Einreisen zu verhindern. Gleichzeitig müsse es eine kontrollierte Aufnahme von Flüchtlingen und Migranten geben – organisiert von einer gemeinsamen europäischen Asylbehörde. „Wir haben keine Migrationskrise, sondern eine Herausforderung, die aus Ungleichheit entsteht.“ Und langfristig helfe ohnehin nur der Aufbau stabiler Staaten mit wirtschaftlichen Perspektiven für die Menschen, vor allem in Afrika. Auch der Klimawandel führe langfristig zu Migrationsbewegungen.
Damit ist Macron schon bei der Umweltpolitik. Auch hier müht er sich nicht durch kleinteilige Forderungen, sondern beschwört die große Vision. Er ruft: Es müsse bald möglich sein, durch Europa zu reisen, ohne Europa zu verschmutzen. Spätestens da dürfte manch grünem Politiker in Deutschland vor Glück das Nachmittagsobst aus der Hand fallen.
Dann folgen seit Monaten bekannte Vorschläge, die freilich im schwarz-gelben Teil der Bundespolitik auf wenig Gegenliebe stoßen. Macron erneuert seine Forderung nach einem eigenen Budget der Eurozone, inklusive EU-Finanzminister. Dieser brauche allerdings eine demokratische Kontrolle, wohl durch das EU-Parlament. Auch eine europaweite Steuer auf Börsengeschäfte (in Frankreich gibt es sie schon) fordert Macron. Deren Ertrag solle man am besten in die Entwicklungshilfe stecken.
Das alles sind die großen Zusammenhänge, die großen Ideen. Und der 39-jährige Präsident garniert seine erste große europapolitische Rede auch mit einer ordentlichen Portion Pathos. „Ich habe keine roten Linien“, sagt er an einer Stelle, „ich habe nur Horizonte.“ Oder gleich zu Beginn: „Europa lebt von der Idee, die wir ihm geben.“
Und auch für EU-skeptische Regierungen, etwa in Ungarn oder Polen, hat Macron eine Passage vorbereitet. Viele Milliarden Fördergelder und die damit verbundene Solidarität könne man nicht ausnutzen – und ansonsten gegen die anderen spielen. mit afp und dpa