Berlin/München – In der Politik gibt es Lügen manchmal schriftlich. Legendär ist die Solidaritätserklärung, die die CSU-Landtagsfraktion Mitte Januar 2007 in Kreuth verfasste: „Wir stehen zu Edmund Stoiber und der von ihm verantworteten, überaus erfolgreichen und zukunftsweisenden Politik.“ Nun ja: Einige Stunden später stürzte er über diese Abgeordneten.
Heute, zehn Jahre später, könnte die CSU in eine ähnliche Situation kommen. Wieder steht ab 8:30 Uhr morgens eine stundenlange Aussprache der Landtagsabgeordneten an, diesmal mit Horst Seehofer im Feuer. Weil der Parteichef und Ministerpräsident um die Halbwertszeit der Solidaritätsadressen seiner Abgeordneten weiß, lässt er sich diesmal – anders als im Parteivorstand – wohl gar keine ausstellen.
Seehofer, der am Dienstag die gerupfte Landesgruppe in Berlin besuchte, will stattdessen versuchen, die Generaldebatte über seine Fehler im Wahlkampf nach hinten zu schieben. „Der Parteitag ist der richtige Ort, solche Debatten zu führen“, sagt er. „Alles andere ist nicht der richtige Ort. Bitte – Parteitag, vor 1000 Delegierten, da gehört es hin.“
Die Debatte zu verschieben, würde Seehofer Luft verschaffen während der langsam anlaufenden Sondierungen mit CDU, später FDP und Grünen in Berlin. Außerdem weiß er: In der Landtagsfraktion kann eine Debatte viel brenzliger werden als auf einem Parteitag. Unter den Abgeordneten hat Markus Söder seine stärkste Machtbasis. Eine stundenlange Debatte über Seehofer, aus der die Journalisten per SMS gezielt über die gröbsten Kritikreden informiert werden, könnte den Chef ins Wanken bringen.
Bisher hält sich Söder persönlich auffällig zurück, äußerte nur Betroffenheit über das Ausmaß der CSU-Klatsche vom Sonntag und gab ein staatstragendes TV-Interview über Geschlossenheit und das Zurückstellen von Einzelinteressen. Der große Teil der bisher offen auftretenden Seehofer-Kritiker kommt aber aus seinem fränkischen Umfeld, gute persönliche Bekannte. Seehofer weiß das natürlich. „Das kommentiere ich nicht“, sagt er mit abweisender Geste. Und sagt dann doch: Diese Aktion habe schon während des Wahlkampfes begonnen.
Ziel für heute dürfte sein, die Zahl der Gegenreden in der Fraktion zu minimieren. Der Oberfranke Alexander König hat sich bereits offen gegen den Parteichef und für Söder ausgesprochen; sein Leumund ist aber nach der Verwandtenaffäre angeschlagen. Auch Petra Guttenberger (Fürth) fordert einen personellen Neuanfang. Die Oberbayerin Michaela Kaniber sagte unserer Zeitung, sie halte alles für offen. Man brauche eine ehrliche Aufarbeitung der Wahlergebnisse.
Schwerer wiegt Albert Füracker, Söders Staatssekretär. Der von ihm geführte CSU-Bezirksverband Oberpfalz befand mehrheitlich, Seehofer solle zwar die Koalitionsverhandlungen führen. Parallel dazu müsse es aber eine Diskussion über eine Neuaufstellung geben. Darauf könnte tatsächlich die ganze Debatte rauslaufen: Seehofers Spitzenkandidatur 2018 neu zu verhandeln.
Von Fraktionschef Thomas Kreuzer heißt es, er wolle bis morgen früh intensiv telefonieren und die Reihen schließen. Auch dürfte er eingangs den 101 Abgeordneten ins Gewissen reden, jetzt keine Personaldebatte zu führen und sich vor keinen Karren spannen zu lassen. Wie stark Kreuzer die Fraktion im Griff hat, wird sich daran zeigen.
Für Seehofer wirft sich Oberbayerns CSU-Chefin Ilse Aigner ins Zeug. „Wir haben ja von 2007 schon unsere Erfahrungen mit einer Palastrevolte, das Wahlergebnis von 2008 kennt aber auch jeder“, sagt die Wirtschaftsministerin. Sie und einige andere würden für ihn aufstehen.
Zwar spricht sich mit Alexander Hoffmann auch ein Bundestagsabgeordneter für Seehofers Rücktritt aus. Doch sonst kommt aus Berlin vor allem Rückendeckung für den Parteichef. „Das sollte man von Angesicht zu Angesicht machen“, rügt Wirtschaftsexperte Hans Michelbach – „und nicht aus der Hüfte heraus in der Öffentlichkeit“. Selbst Peter Ramsauer, wahrlich kein enger Freund, stützt Seehofer. „Dieses Rücktrittsforderungs-Gequatsche ist albern und blöd“, sagt er unserer Zeitung. Die CSU müsse „mit dem stärksten Kampfross in die Wahl ziehen“. Das sei Seehofer.