Angst vor Unruhen nach Kurden-Referendum wächst

von Redaktion

Die Abstimmung wird wohl für die Unabhängigkeit des Nordiraks ausfallen – Der internationale Protest klingt nicht ab

Erbil – Als Hewa Kamal Scharif am Abend des Referendums einen Zettel hochhält, steht da das Ergebnis seines Wahllokals: 449 Stimmen für die Unabhängigkeit der Kurden, rund 95 Prozent. „Wir gewinnen“, sagt Scharif. „Das ist unser alter Traum.“

Die Abstimmung über diesen Traum hat international jedoch heftige Kritik hervorgerufen. Besonders scharfer Widerstand kommt aus der Türkei. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan bezeichnete die Abstimmung als „Verrat“ an seinem Land. Zuvor drohte er gar mit einem Ende des kurdischen Ölexports und einer Militärintervention. Seine und die irakische Armee begannen nach dem Referendum an der Grenze ein gemeinsames Militärmanöver – eine Übung.

Das Endergebnis des Referendums der Kurden im Nordirak am Montag sollte innerhalb von drei Tagen feststehen und lag zunächst noch nicht vor. Doch niemand bezweifelt, dass das Ja zur Abspaltung vom Rest des geschundenen Landes ähnlich klar ausfällt wie in Scharifs Wahllokal. Schon am Montagabend feierten die Menschen in Iraks Kurdengebieten ausgelassen.

Die Zentralregierung hatte die Abstimmung als nicht verfassungsgemäß verurteilt. Vize-Präsident Nuri al-Maliki sagte, sie sei „eine Kriegserklärung an die Einheit des irakischen Volks“. Ministerpräsident Haidar al-Abadi will das Ergebnis des Referendums nicht anerkennen. Auch der Iran wird das Ergebnis nicht anerkennen.

Der Ausgang des Referendums, das rechtlich nicht bindend ist und die Kurden trotz scharfer internationaler Kritik durchzogen, hat dabei auch Auswirkungen auf Deutschland. Die Bundesregierung wagte sich nämlich bei der Unterstützung der Kurden im Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Staat sehr weit vor und brach ein Tabu. Erstmals lieferte sie zwischen 2014 und 2016 in großem Stil Waffen in einen Bürgerkrieg. Die kurdischen Peschmerga-Kämpfer erhielten zum Beispiel 20 000 Gewehre und 1000 Panzerabwehr-Raketen. Es sind auch noch 160 deutsche Soldaten zur Ausbildung der kurdischen Armee im Nordirak.

Bedenken gab es schon beim Beschluss, die Kurden könnten die Gewehre irgendwann gegen Soldaten der Zentralregierung in Bagdad richten. Die Bundesregierung lieferte sie zwar explizit für den Kampf gegen den IS. Aber ob sie im Fall eines Unabhängigkeitskriegs Kontrolle darüber hätte, ist fraglich.

Entsprechend besorgt zeigte sich Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD), dass sich die Spannungen in der Region weiter verschärfen können. Er forderte die kurdische Regionalregierung und die Zentralregierung in Bagdad gestern zum Dialog auf.

„Alle Seiten bleiben aufgerufen, jegliche Eskalation zu vermeiden und von einseitigen Schritten in Richtung Unabhängigkeit oder Zwangsmaßnahmen Abstand zu nehmen.“ Das US-Außenministerium erklärte, es sei „tief enttäuscht“ von dem Referendum. Washington befürchtet, der Kampf gegen den IS könnte geschwächt werden.

Am Kampf gegen den IS wollen sich die Kurden aber weiter beteiligen, und es gibt weiter Absprachen zwischen der irakischen Armee und den kurdischen Peschmerga-Kämpfern.

Auch bei den Vereinten Nationen wächst die Sorge vor neuen Spannungen. Generalsekretär António Guterres befürchtete „möglicherweise destabilisierenden Folgen“. Auch Russland betonte, die Wahrung der territorialen und politischen Einheit des Iraks sei extrem wichtig für Stabilität und Sicherheit in der Region.

Massud Barsani, der Kurden-Präsident, hatte das Referendum vorangetrieben, auch weil er innenpolitisch unter Druck steht. Die Hoffnungen der Kurden sind jetzt gewaltig, doch ebenso groß könnte die Enttäuschung sein. Wenig spricht dafür, dass sich ihr Traum schnell erfüllt.

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