Koalition nach der Wahl

Berliner Rechenspiele

von Redaktion

von Marcus Mäckler und Christian Deutschländer

München – Die Koalitionsverhandlungen bei Anne Will dauerten eine Stunde, verliefen schwäbisch-herzlich und endeten mit einem Könnte-gut-passen. Zwar stritten Cem Özdemir (Grüne) und Wolfgang Schäuble (CDU) ein wenig über Diesel und Atomausstieg. Aber sie tauschten auch fleißig Komplimente aus. Der ARD-Sonntagabend-Talk hinterließ jedenfalls das Gefühl, dass die beiden es gerne miteinander versuchen würden, als Koalitionäre.

Schwarz-Grün auf Bundesebene? Manche könnten sich das genauso gut vorstellen wie Schwarz-Gelb, nur dass in beiden Fällen die nötige Mehrheit fehlt. Überhaupt herrscht weniger als zwei Wochen vor der Wahl Ungewissheit darüber, wie das neue Regierungsbündnis ausschauen könnte. Hält man sich an die Umfragen, gibt es im Moment bloß zwei Möglichkeiten: eine neue Große Koalition – oder ein Jamaika-Bündnis aus Union, Grünen und FDP.

Das Mögliche ist aber nicht immer das Wahrscheinliche. Derzeit werden eifrig Gründe gegen beide Optionen vorgetragen. Beispiel: Jamaika. Zwar regieren die drei in Schleswig-Holstein schon auf Landesebene zusammen. Im Bund gehen aber vor allem die kleinen Parteien auf Distanz. „Ich glaube nicht mehr an ein Jamaika-Bündnis“, sagte FDP-Chef Christian Lindner gestern. Die Grünen-Spitzenkandidaten Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt erklärten, ihnen fehle die Fantasie dafür. Und auch die CSU, die 2018 eine Landtagswahl bestreiten muss, fürchtet jede Nähe zu den Grünen: Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) schnauft auf die Frage, was er von Jamaika hält: „Nix“. Er fände „fatal“, wenn „die Partei, die am wenigsten zur Leitkultur beiträgt, an der Regierung beteiligt wird“.

Ein Knackpunkt neben dem Streit um Diesel und Co.: die Flüchtlingspolitik. Gestern stellte Lindner ein Konzept vor, in dem die Liberalen unter anderem einen neuen Status für Kriegsflüchtlinge fordern: Sie sollen schneller einen Aufenthaltsstatus bekommen, ihn aber mit Ende des Kriegs in ihrer Heimat auch gleich wieder verlieren. Politisch Verfolgte sollen weiterhin Asyl erhalten, bis zum Ende des Verfahrens aber in zentralen Unterkünften wohnen und zunächst nur Sachleistungen bekommen. Für die, die sich gut integrieren, fordert die FDP die Möglichkeit, zum dauerhaften Einwanderer zu werden. Lindner sagte, das Konzept sei ein wichtiger „Prüfstein“ für eine Koalitionsbeteiligung.

Grünen-Migrationsexperte Volker Beck spottete hinterher, die Vorschläge seien ein „wirres Potpourri von halb garen Schlagwörtern“. Die CSU steht mit ihrer auch parteiintern umstrittenen Obergrenzen-Forderung ohnehin weit abseits der Öko-Partei.

Der Mainzer Politikwissenschaftler Jürgen Falter spricht von „Elementen der Instabilität“, die Jamaika innewohnten. „Ich kann mir deshalb vorstellen, dass Angela Merkel eine Fortsetzung der Großen Koalition lieber wäre.“ Die SPD dürfte das anders sehen. Zwar ist die GroKo die einzig realistische Machtoption für die Sozialdemokraten. Aber eine Fortsetzung dürfte heftiges Rumoren bei der Basis hervorrufen, die einen Koalitionsvertrag billigen müsste. Das weiß auch Martin Schulz, der unentwegt betont, er wolle Kanzler werden. Die vier Koalitions-Bedingungen, die er am Sonntag formuliert hat – darunter ein Ende der willkürlichen Befristung von Arbeitsverträgen – sind jedenfalls nur bedingt Unions-konform.

Führt der Weg der SPD in die Opposition? Ein Dreierbündnis mit Grünen und Linken oder gar Grünen und FDP („Ampel“) ist ob der SPD-Schwäche rechnerisch fern. Käme es nicht zur Großen Koalition, hätte das zumindest diesen Effekt: Die AfD, die gute Chancen hat, drittstärkste Fraktion zu werden, würde nicht Oppositionsführerin werden. Als solche hätten ihre Abgeordneten unter anderem das Recht, prominent gleich nach der Regierung im Parlament zu reden. Linken-Chefin Katja Kipping warnt vor einem „verheerenden Signal“.

Allerdings ist die Rolle des Oppositionsführers nirgends festgeschrieben, sie basiert auf „Absprachen, die die anderen Fraktionen aushebeln könnten“, sagt Politologe Falter. „Beim Alterspräsidenten haben sie das schon gemacht.“ Bislang erhielt automatisch der älteste Abgeordnete diese Rolle, im nächsten Bundestag wird es der dienstälteste sein. Die Änderung vom Juni soll verhindern, dass ein AfD-Mann Alterspräsident wird.

Regierung, drittstärkste Fraktion – alles offen. Glaubt man Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer, ist nur dies klar: Es werden, mit wem auch immer, die langwierigsten Koalitionsverhandlungen seit Jahrzehnten.

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