Es ist ein Papier, das lange erwartet und gestern erstmals öffentlich in der Kommission für Stadtgestaltung vorgestellt wurde: Das Münchner Büro 03 Architekten hat die aus dem Jahre 1995 stammende Hochhausstudie fortgeschrieben. Der Entwurf skizziert aktuelle Entwicklungen und gibt Leitlinien für die Zukunft. Zur Erinnerung: 2004 sprach sich bei einem Bürgerentscheid eine knappe Mehrheit der Münchner dafür aus, das Maß von 100 Metern nicht zu überschreiten. Die Bindungskraft dieses Votums ist zwar rechtlich längst verwirkt, doch moralisch fühlt sich die Politik dem damaligen Bürgerwillen bis heute verpflichtet.
Ein starres Festhalten an derlei Grenzen hält die neue Studie indes für überholt. Aus Sicht der Gutachter sind Hochhäuser ein wichtiges städtebauliches Gestaltungsmittel und am richtigen Standort unter Beachtung bestimmter Qualitätsanforderungen ein Gewinn für das Stadtbild. Prinzipiell misst das Büro 03 Architekten jedoch dem bestehenden Stadtbild einen hohen Wert zu und sieht für weite Teile der Stadt den Erhalt beziehungsweise nur eine moderate Akzentuierung vor. Dazu wurde München von den Gutachtern in vier Zonen mit unterschiedlichen Maßstäben für die Höhenentwicklung unterteilt. Prägende Hochhäuser mit einer Höhe von über 80 Metern hält das Büro etwa entlang der Bahngleise zwischen Hauptbahnhof und Pasing, im Gewerbegürtel entlang des DB-Nordrings sowie am östlichen Stadteingang für denkbar.
Professor Andreas Garkisch, federführender Verfasser der Studie, formuliert dabei eine klare Prämisse: „Je höher das Bauwerk, desto mehr Qualität muss geboten werden.“ Hochhäuser sollten ein „lesbares Zeichen“, ein „städtebauliches Gestaltungsmittel“, für das Umfeld verhältnismäßig und in historischem Bezug zur Umgebung sein. Es gehe darum, einen „Mehrwert für die Allgemeinheit“ zu schaffen. In diesem Sinne seien Mischnutzungen – also Gewerbe und Wohnen – sowie vor allem eine öffentliche Zugänglichkeit zu empfehlen. Garkisch: „Die Bürger lieben zum Beispiel Dachterrassen.“ Eines kommt in der Studie aber auch zum Ausdruck: „Der große Bedarf an kostengünstigem Wohnraum wird nicht durch Hochhäuser gelöst werden.“ Denn aufgrund der technischen Anforderungen seien auch die Baukosten hoch.
Den Entwurf der Schweizer Architekten Herzog & de Meuron für die heiß diskutierten 155 Meter hohen Türme an der Paketposthalle hält Garkisch im Übrigen für gelungen: „Qualitativ und von der Höhenentwicklung vertretbar.“ Die gewölbten Figuren der beiden Hochhäuser wären – sollten sie realisiert werden – die höchsten Bauten in München nach dem Olympiaturm. Das Vorhaben liegt nahe der Bahnachse, also dort, wo die Gutachter Hochpunkte für machbar halten.
Für Stadtbaurätin Elisabeth Merk steht fest: „Hochhäuser ja – aber nicht um jeden Preis.“ Bauten über 100 Metern müssten eine begründete Ausnahme bleiben. Aufgrund der neuen Studie werde nun bestimmt „keine Invasion an Hochhäusern“ entstehen, so Merk. „Wir wollen aber keine Denkverbote und keine imaginäre Grenze.“ In näherer Zukunft kann sich Merk vor allem entlang der Achse zwischen dem Vogelweideplatz und der Messestadt Riem neue Hochhäuser vorstellen.
Derzeit ist bereits auf einem brachliegenden städtischen Grundstück zwischen der Prinzregenten- und Einsteinstraße ein 88-Meter-Hochhaus geplant. Im Münchner Norden sieht Stadtbaurätin Merk Entwicklungsmöglichkeiten am Mittleren Ring und Frankfurter Ring. Allerdings nur punktuell, weil man dort ja auch den Olympiapark berücksichtigen müssen, der bekanntlich zum Weltkulturerbe erklärt werden soll. Eher sensibel sei der Münchner Süden wegen des Alpenblicks zu bewerten.
Dem Stadtrat soll die Studie erst im Jahr 2020 präsentiert werden. Anschließend ist ein Informations- und Diskussionsprozess mit den Bürgern und Fachleuten geplant. Erst auf dieser Basis wird der Stadtrat entscheiden, wie er mit den Erkenntnissen der neuen Hochhausstudie umgehen will.