Eines vorweg: Michael Lemling (54) steht rechtes Gedankengut ebenso fern wie Schwabing eine Nazi-Hochburg. Die Buchhandlung Lehmkuhl, sagte er unserer Zeitung gestern, sei von jeher linksliberal. Doch er plädiert gleichzeitig für Aufklärung, wo immer sie nötig ist. „Die Auseinandersetzung mit den Rechten ist eine wesentliche politische Herausforderung der Gegenwart“, sagt der Buchhändler.
Da ist er sich mit der 32-jährigen Autorin Margarete Stokowski einig. Doch für sie ist es unmöglich, in einer Buchhandlung zu lesen und zu diskutieren, in der offen Bücher verkauft werden, in denen sie rechtsextremes Gedankengut aufspürt. Ihre Gründe benennt sie in einem offenen Brief, den sie bei ihrem Verlag Rowohlt veröffentlicht hat: „Hauptsächlich gibt es zwei Gründe“, schreibt sie da. „Erstens die Normalisierung rechten Denkens und zweitens finanzielle Gewinne für diese Autor*innen und Verlage.“
Lemling kann diese Argumentation nicht nachvollziehen. „Die Buchhandlung Lehmkuhl ist in Schwabing ein fester Begriff, eine Institution. Die Leute wissen um unsere politische Ausrichtung. Und dass ein Rechtsgerichteter bei uns im Laden ein Buch kauft, ist absurd: Der geht direkt über den Verlag, um ihn finanziell zu unterstützen, damit die Kosten für den Zwischenhändler entfallen“, sagte er unserer Zeitung.
Der umstrittene Verlag heißt Antaios und hat unter anderem Bücher von Alexander Gauland und dem 2016 verstorbenen Historiker Rolf Peter Sieferle im Angebot, der mit seiner Textsammlung „Finis Germania“ recht gefragt war. Darin heißt es etwa: Die Erinnerung an die deutsche Schuld am Holocaust würde eingesetzt, um zu verhindern, dass Deutschland eigene Interessen durchsetzen könne.
Vier Autoren von Antaios hat Lemling im Sortiment. Das liege eben am Erfolg von „Finis Germania“ vor zwei Jahren. Die Feuilletons der Republik hätten damals das Buch zum Skandal gemacht und die Verkaufszahlen in die Höhe schnellen lassen, sagt er. „Dürfen nur Journalisten, Historiker und Politologen Sieferle lesen?“ Dem stünden 40 besonders rechts-kritische Werke gegenüber und ein Gesamtsortiment von 20 000 Werken.
Dass Stokowski ihre Lesung am 28. November abgesagt hat, macht Lemling grantig. Schließlich sei der Auftritt seit drei Monaten ausverkauft, die Warteliste umfasste weitere 20 Interessenten. „Wir wollten ja auch nicht mit ihr über die ,Neue Rechte‘ diskutieren, sondern über ihr neues Buch und den Feminismus.“ Lehmkuhl ist nach unserer Recherche der einzige große Buchladen der Stadt, der in diesem Umfang dieses Repertoire anbietet. Bei Hugendubel etwa gibt es genau ein Exemplar der Sieferle-Texte (Marienplatz).
Lemlings Kollegin Regina Moths von „Literatur Moths“ an der Rumfordstraße verteidigt den Lehmkuhl-Chef zwar („Ihn in die rechte Ecke zu rücken, ist absurd“), andererseits betont sie: „Bei uns würde es nie derartige Literatur geben. Vielleicht will Michi die Lektüre auch anbieten, weil er in Uninähe ist und hier Bedarf sieht. Aber wer etwa auf Buchmessen sieht, wie der Antaios-Verlag auftritt, dem wird ganz anders.“ Es gebe genug Sekundärliteratur über die Themen. „Da braucht man nicht die rechtsextremen Originale anzubieten.“ Dass Moths Stokowski gern selbst verpflichtet hätte, gibt sie lachend zu: „Aber der Michi hat sie mir weggeschnappt.“ Dass die 32-Jährige nun statt bei Lehmkuhl bei Moths auftreten könnte, bestreitet Moths. „Das wäre kein guter Stil unter Kollegen.“
Und Lemlings Fazit nach der Absage? „Seien Sie versichert, dass wir unsere offene Diskussionskultur auch im kommenden Frühjahr weiterführen werden.“