Zinn ist ein Material von Bestand, und die Formen, die es in Münchens ältester Zinngießerei Leonhard Mutz erhält, stehen für Genuss und Brauchtum. Mit den Bierkrügen und Pokalen, die Inhaber Wolfgang Beißler in dem nach seinem Urgroßvater benannten Geschäft individuell anfertigt, feiert man Feste und Siege. Auch Becher, Teller und Medaillen erzählen von bleibendem Wert. Zu den Kunden des 1879 gegründeten Betriebs, der sich seit 1932 in Familienbesitz befindet, zählen Bundesliga-Clubs und Größen der bayerischen Landespolitik: Sie alle schätzen das selten gewordene Handwerk.
Doch was zwei Kriege, viele Neuanfänge und fünf Generationen überdauerte, ist jetzt bedroht: Im Frühjahr erhielt Beißler, der das Unternehmen mit seiner Mutter Brigitte führt, die Kündigung für Geschäftsraum und Werkstatt an der Schleißheimer Straße 50. Als Grund nennt die Eigentümergemeinschaft, die das Anwesen im vergangenen Jahr von den Erben der verstorbenen Besitzerin kaufte, die „Hinderung angemessener wirtschaftlicher Verwertung“. Im Zuge einer umfassenden Sanierung sollen nicht nur die Wohnungen im Vorderhaus komplett renoviert werden. Laut Bauantrag soll aus der Werkstatt ein Bürogebäude mit zwei zusätzlichen Wohneinheiten werden.
Dass dort demnächst Menschen vor ihren Rechnern sitzen werden, ist momentan kaum vorstellbar. Die Werkstatt im Hof scheint wie aus der Zeit gefallen, ein Hauch von Nostalgie umweht die rustikalen Werkzeuge und Arbeitsbänke. Auch der Laden im Vorderhaus ist ein originelles Sammelsurium aus Plaketten, Vereinswappen, Geschirr und Souvenirs.
Doch nicht nur Nostalgikern tut der mögliche Verlust in der Seele weh: Für die Beißlers geht es um ihre Existenz. „Dieses Geschäft ernährt zwei Familien. Falls die Baugenehmigung durchgeht, stehen wir auf der Straße“, sagt Wolfgang Beißler. „Einen Umzug können wir nicht stemmen.“ Dass der Zinngießer in der Maxvorstadt, wo der Großteil seiner treuen Kundschaft lebt, vergleichbare neue Räume findet, hält er ohnehin für unmöglich.
Mit seinem Weggang würde die letztere Zinngießerei aus München verschwinden – trotz des Zusammenhalts mit den wenigen verbliebenen Traditionsgeschäften in der Nachbarschaft, darunter der Stempel- und Gravurenspezialist Hans Eglseer. Man kennt und hilft sich seit Jahrzehnten, liefert Qualität. Ihre letzte Hoffnung setzen die Beißlers darauf, dass die Lokalbaukommission die Baugenehmigung nicht absegnet.
Neben den Zinngießern sind aber auch sämtliche anderen Mieter von den Plänen betroffen: Alle an der Schleißheimer Straße 50 erhielten inzwischen eine Kündigung, darunter Daniela Ramsperger. Als Enkelin der verstorbenen früheren Besitzerin trifft sie die Kündigung auf besonders persönliche und harte Weise, da sie nicht als Erbin bedacht wurde, und nun im schlimmsten Fall sogar bald ohne Wohnung dasteht. „Besonders für meine Kinder wäre das extrem schlimm, da sie stark mit dem Viertel verbunden sind“, sagt die vierfache Mutter. Das Gleiche gelte für ihre betagte Nachbarin, die seit 42 Jahren in der Schleißheimer Straße 50 wohnt, und „mit jedem neuen Schreiben fassungslos vor meiner Tür steht und Beratung braucht“.
Eine Hoffnung ruht nun auf der Unterstützung des örtlichen Bezirksausschusses: Da dem Gremium das Bauvorhaben in der jüngsten Sitzung zur Anhörung vorlag, besichtigte es die Lokalpolitikerin Ruth Geling (Grüne) vor Ort – und kam durch Zufall mit Wolfgang Beißler ins Gespräch. Nun ist der Verbleib der Mieterschaft Thema im Unterausschuss Planung und Umwelt, der den Bauantrag in der aktuellen Form prüfen wird und sich vorerst gegen eine Empfehlung ausspricht: „Ich persönlich finde es sehr schade, dass Erbengemeinschaften Objekte verkaufen, ohne sich Gedanken zu machen, was aus den bisherigen Mietern wird“, sagt Bezirksausschuss-Mitglied Gerhard Mittag (CSU). Auf Anfrage unserer Zeitung, was die Besitzergemeinschaft nun genau plant, wollte sich deren Anwältin nicht äußern.
Als nächsten gemeinsamen Schritt wollen die Bewohner gemeinsam auftreten und ebenfalls zusammen einen Anwalt beauftragen. Hoffnung Nummer drei lautet also ähnlich wie die Inschrift auf zwei Bierkrügen in Wolfgang Beißlers Werkstatt: „Unus pro omnibus, omnes pro uno.“ Einer für alle, alle für einen.