Der Online-Hype hat den Zenit erreicht

von Redaktion

Interview Christian Göttlinger spricht über den Einzelhandel in Neumarkt-St. Veit

Neumarkt-St. Veit – Onlinekonkurrenz, Stadtplatzumbau, Einzelhandelsverlagerung: Die innerstädtischen Geschäfte haben es in Neumarkt-St. Veit nicht leicht. Und doch gibt es keinen Grund, pessimistisch in die Zukunft zu blicken. Der Vorsitzende der Werbegemeinschaft, Christian Göttlinger, erklärt warum.

Mit Aktionen wie der Nacht der Musik versucht die Werbegemeinschaft schon seit einigen Jahren, die Innenstadt zu beleben. Geht die Rechnung auf?

Die Nacht der Musik ist ein Riesenerfolg, den ich auch an keinem anderen Standort so erlebt habe. Das Rahmenkonzept der Werbegemeinschaft in Verbindung mit den Angeboten von Gastronomie und Handel passen bestens zusammen.

Welche Rolle spielen
Online-Shops im täglichen Wettbewerb? Können nicht auch die Einzelhändler vor Ort von
digitalisierten Vertriebswegen profitieren?

Das Online-Geschäft hat den Handel innerhalb eines Jahrzehnts massiv verändert und ist nicht mehr wegzudenken. Auch in Neumarkt-St. Veit ist beides zu finden. So groß aber der Onlinehype der vergangenen Jahre war, so stößt das Einkaufen per Mausklick im Augenblick an die Grenzen, zumal sich auch die Preise stationär und online angleichen.

Worin liegt das große Plus vor Ort?

Viele Kunden entdecken neu, dass die vermeintlich grenzenlose Auswahl im Internet nicht immer die beste Wahl ist und der Händler vor Ort oft in puncto Qualität, Praktikabilität und mit seinem Fachwissen oft schnell und bequem bessere oder für den Kunden passendere Angebote bietet.

Gibt es Mitglieder der Verkehrs- und Werbegemeinschaft, die das
Online-Geschäft für sich schon entdeckt haben?

Das Thema ist zu vielschichtig, um es nur online oder offline zu betrachten. Dass die europäische und nationale Gesetzgebung für inländische Anbieter, was die Besteuerung oder die bürokratischen Vorgaben betrifft, nach wie vor nicht für fairen Wettbewerb sorgt, ist ein Unding. Aber auch einen Onlineshop zu betreiben ist ein nicht zu unterschätzender Aufwand. Neue Hürden wie die Europäische Datenschutzgrundverordnung schrecken Händler ab. Wobei sich auch die Frage stellt: Kann man erfolgreich auf allen Hochzeiten tanzen oder sollte man nicht lieber das machen, was man am besten kann? Auch Klimaschutz beginnt bei jedem Einzelnen und jeder vor Ort ausgegebene Euro stärkt das Lebensumfeld. Es bleibt spannend, denn nichts ist so beständig wie der Wandel im Handel.

In den vergangenen Jahren haben sich, zusätzlich zu den Discountern an der Landshuter Straße, auch an der Ampfinger Straße größere Gewerbetreibende angesiedelt. Ein Gewinn für den Einzelhandel, weil es mehr Kunden nach Neumarkt generell lockt, oder eine Schwächung der Geschäfte am Stadtplatz?

Ganz klar, jedes Geschäft und jedes Angebot ist ein Gewinn für die Stadt. Die Steuerung des Handels hat aber langfristige und weitreichende Folgen. Zum einen kann eine Kommune nicht gegen den Strom schwimmen, wenn landes- oder bundesweit großflächiger Einzelhandel an stark befahrenen Ausfallstraßen oder an den Ortsrändern angesiedelt wird. Zum anderen ist es auch sinnvoll, den Flächenfraß einzudämmen, einen eigenen Plan für die für die Ansiedelung von Gewerbe zu entwickeln und sich nicht von den Zentralen von Handelskonzernen steuern zu lassen. Wenn der Lebensmitteleinzelhandel zu weit an die Ortsränder verlagert wird, generiert man für jede Tüte Milch eine Fahrt mit dem Auto und das für viele Jahre. Andererseits sind auch wohnortnahe Einkaufsmöglichkeiten zum Beispiel für verschiedene Siedlungsbereiche wünschenswert. Die Standorte der erwähnten Lebensmittelgeschäfte und Discounter sind für viele Bewohner der Werksiedlung oder westlichen Siedlungsbereiche gut erreichbar. Dass es in Neumarkt-St. Veit auch in der Stadtmitte einen attraktiven Lebensmittelmarkt gibt, ist mittlerweile eine Besonderheit und ein Riesenpluspunkt für die Stadt, den die Kunden zu schätzen wissen.

Läden, die als Familienbetrieb geführt wurden, finden keine Nachfolger. Leerstände sind die
Folge. Wie kann
man dem
entgegenwirken?

Die Politik hat mit immer neuer und steigender Abgabenlast und einem Wust an Bürokratie gerade für eine Gründerstimmung gesorgt. Manche sagen: Es reicht mir, das tue ich mir erst gar nicht an! Das hat aber nichts mit Innenstadt zu tun. Als Unternehmer oder Händler muss ich nicht zwingend meinen Betrieb in der Innenstadt haben. Wenn ich mich als Händler neu ansiedle oder erweitern will, überlege ich, was rentabler ist – eine Fläche in einer historischen Altstadt mit möglicherweise hohen Kosten für den Ausbau in alten Gebäuden oder der Neubau in Gewerbegebieten auf der grünen Wiese?

Welche Möglichkeiten der Stärkung sehen Sie?

Mit der Städtebauförderung, der Integrierten Stadtentwicklung ISEK und mit Förderprogrammen bietet die Stadt Neumarkt-St. Veit Anreize für die Innenstadt. Ich wünsche mir mehr Aufbruchstimmung. Leute, die Lust und Ideen haben, aber auch eine Politik, die Selbstständige nicht schikaniert, sondern motiviert, schätzt und auch fördert – und das meine ich nicht nur monetär, sondern auch ideell. Wir dürfen uns in Deutschland nicht auf dem Status Quo ausruhen. Wenn ich in Neumarkt zurückschaue muss ich sagen: Es gab nicht nur Geschäftsaufgaben, sondern auch eine Reihe von erfolgreichen Geschäftsübernahmen und Neueröffnungen.

Mit der anstehenden Stadtplatzsanierung ist die Geschäftswelt mit großen und infrastrukturellen Eingriffen konfrontiert. Wie bereiten sich Händler darauf vor, um Umsatzeinbußen möglichst niedrig zu halten?

Auf Einschränkungen bei der Erreichbarkeit von Geschäften, verminderte Parkmöglichkeiten oder Hindernisse reagieren die Kunden höchst sensibel. Baustellen können die Existenz von Händlern, Dienstleistern und Lokalen bedrohen oder sogar vernichten. Gleichwohl müssen Kanäle oder Leitungen erneuert werden oder Neu- oder Umbauten vorgenommen werden. Es ist deswegen sinnvoll und möglich, das Beste daraus zu machen. Wenn die Stadt und die beteiligten Firmen eng und gut zusammenarbeiten, lässt sich der Schaden minimieren.

Mit dem Bau des seniorengerechten Wohnprojekts am Stadtplatz generiert sich auch ein neues Kundenklientel. Eine Chance für den Einzelhandel am Stadtplatz?

Eine Chance ist es ganz sicherlich. Die Innenstädte werden zum Leben und Wohnen wieder neu entdeckt. Die Senioren von heute wollen aber mehr als Kaffee und Kuchen. Ich hoffe, dass es uns gelingt, die Bewohner dieses Wohnprojektes, aber auch alle anderen Neubürger zu gewinnen und ihnen nicht nur Wohnraum, sondern eine Heimat zu bieten. Es gibt eine Menge von Veränderungen – auch im positiven Sinne. Viele Händlerkollegen erzählen mir, dass plötzlich Kunden aus anderen Orten bei uns einkaufen, die früher nie gekommen wären, weil anderswo Lücken entstehen. Diese Chancen müssen wir nutzen. Interview: Josef Enzinger

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