Viele ältere Menschen fühlen sich an Weihnachten besonders einsam – warum ist das so?
Weihnachten ist ein Familienfest – wenn man also an Heiligabend und an den Feiertagen ganz allein ist, fällt einem diese Diskrepanz viel mehr auf als im Alltag. Ältere Menschen, die sich ohnehin einsam fühlen, empfinden daher die Adventszeit, vor allem aber Weihnachten als äußerst belastend.
Birgt schon das Alter an sich Probleme mit Einsamkeit?
Natürlich ist Altwerden ein Risikofaktor für Einsamkeit, Armut verstärkt diese Tendenz sogar noch! Die sozialen Kontakte werden weniger – Freunde und Wegbegleiter sterben. Die eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten verringern sich, man hat im Alter weniger Energie. Und auch die sensorischen Kanäle werden schlechter, sprich: Man hört nicht mehr so gut, sieht nicht alles – die Kommunikation nach außen wird dadurch massiv erschwert …
Also ist jeder im Alter irgendwann allein?
Das kann man nicht so pauschal sagen. Und, das ist jetzt ein sehr wesentlicher Punkt: Alleinsein bedeutet nicht zwingend Einsamsein, das möchte ich an dieser Stelle wirklich betonen. Einsamkeit ist ein rein subjektives Gefühl: Ich leide unter dem Mangel an sozialen Kontakten.
Was genau bedeutet Einsamsein für unsere Gesundheit?
Nichts Gutes. Einsamkeit ist ein sehr negatives Gefühl, es ist in der Dimension einer Depression durchaus ähnlich! Wir Menschen sind auf soziale Kontakte angewiesen – deshalb erleben wir ihren Wegfall sehr schmerzlich. Im Alter ist dieser Prozess umso gravierender, denn es gibt eigentlich kaum Hoffnung, dass sich das grundsätzlich ändert, gar umkehrt.
Also eine Abwärtsspirale.
Ja, so könnte man es tatsächlich ausdrücken. Körperlich ist Einsamkeit ein psycho-sozialer Stressfaktor – der dauerhaft anhält. Unser Körper kann ihn nicht bewältigen. Und er kann daher richtig krank machen: Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden dadurch genauso begünstigt wie Diabetes, nur um mal zwei Beispiele zu nennen. Menschen, die schon daran erkrankt sind und zunehmend unter Einsamkeit leiden, bei denen kann sich der Verlauf verschlimmern. Krank und einsam – das ist wirklich eine toxische Kombination.
Gibt es einen Rettungsanker?
Ja, man kann der Einsamkeit ein Stück weit entfliehen. Es gibt wirklich einige Angebote speziell für ältere Menschen – bei uns in der Nähe ist zum Beispiel eine Strickgruppe, die ist gut besucht! Allerdings müssen die Betroffenen ihre Schwellenangst überwinden und sich hintrauen. Hausärzte sind meines Erachtens ganz gute Lotsen dafür, sie spielen ja eine entscheidende Rolle im Leben ihrer Patienten – nicht nur beim Medikamenteverschreiben. Wenn sie ihre Augen im eigenen Viertel offen halten und die einsamen Älteren sanft auf Angebote aufmerksam machen, dann fällt das in der Regel auf fruchtbaren Boden. Das hat ja dann der Herr oder die Frau Doktor empfohlen …
Gibt es denn Unterschiede zwischen einsamen Frauen und einsamen Männern?
Die Frauen sind meist deutlich weniger einsam, denn sie haben eine deutlich höhere soziale Kompetenz. Das wurde schon in zahlreichen Studien nachgewiesen. Die Männer hingegen sind eine besondere Risikogruppe, sie haben es schwerer, wenn sie allein sind. Es gibt sogar eindeutige Statistiken, die belegen, dass, wenn mal die Frau vorm Mann stirbt – meist sind ja Frauen langlebiger –, dann sterben die Männer sehr bald hinterher. Überspitzt könnte man fast sagen: Ältere Männer sind allein nicht überlebensfähig, sie sind in gewisser Weise abhängig von ihrer Partnerin.
Was können einsame Männer – und Frauen – an Weihnachten machen?
Wenn man sich mal umhört, dann merkt man schnell, dass selbst an Heiligabend einiges angeboten wird, wo man mit anderen Betroffenen zusammenkommen und sich austauschen kann. Aber: Man muss sich rechtzeitig informieren! Am 24. Dezember ist es dafür meist zu spät. Es ist ganz gut, sich aus der Distanz von ein bis zwei Wochen zu fragen: Was mache ich an Weihnachten, damit ich nicht allein sein muss? Und dann sollte man aktiv werden. Jetzt ist noch Zeit dafür!
Interview: Barbara Nazarewska