Wann sie die kleine Eva* zum letzten Mal gesehen hat? Das sei schon lange her, sagt Gisela Anger*, 76. Zu lange. Es war am Geburtstag ihres Sohnes Frank*, ein kalter Februartag im Jahr 2018. Damals hatte Frank seine Mutter eingeladen: zu Kaffee und Kuchen. Sie wollten ein bisschen feiern, nicht groß, einfach nur mit der Familie – Frank, seine Frau Ingrid*, die kleine Eva. „Es war ein schöner Tag“, erzählt Gisela Anger. „Also, eigentlich.“ Denn irgendwas sei anders gewesen. Gisela Angers Bauchgefühl sollte sich bald bestätigen.
Kurz darauf trennte sich Ingrid von Frank. Und für die kleine Eva, heute sieben Jahre alt, brach eine Welt zusammen. Denn sie verlor an diesem Tag auch ihre Oma.
Bei einer Trennung gerät die ganze Familie aus den Fugen, warnen Experten. Umso wichtiger sei es, dass Kindern in solchen Zeiten ein Stück Stabilität erhalten bleibe, rät der Münchner Familientherapeut Hans Dusolt. Das könnten Großeltern sein – „vorausgesetzt, die Kinder haben eine gute Beziehung zu ihnen“; Oma und Opa seien oft „ein sicherer Anker“.
Auch Gisela Anger wäre gern für ihre Enkelin da gewesen, hätte sie gern in den Arm genommen, getröstet. Sie hätte ihr gern unbeschwerte Stunden beschert, mit etwas Distanz zum Zuhause – wo es in den Tagen nach der Trennung erst mal drunter und drüber ging.
Ja, bei Oma wäre einfach alles beim Alten geblieben. Das beruhigt. Gisela Anger wollte Eva erklären, dass sie keine Schuld an der Trennung von Mama und Papa trage – das glauben kleinere Kinder oft. Und dass Mama und Papa sie genauso lieb hätten wie immer. Aber die Großmutter bekam keine Chance dazu. Und sie fragt sich bis heute, wie das alles passieren konnte.
Dass Frank und Ingrid nicht mehr glücklich gewesen seien, das habe sie ja schon länger geahnt. „So was merkt man.“ Dennoch: Sie hatte stets gehofft, „dass die beiden es irgendwie schaffen“. Vergeblich.
Doch nach der Trennung kam dann „dieser überstürzte Umzug“ – ihre Schwiegertochter stammt eigentlich aus dem Norden, sie sei nur der Liebe wegen nach Bayern gekommen vor rund zehn Jahren. In wenigen Wochen hatte Ingrid ihre Sachen gepackt und war mit der kleinen Eva „hoch zu ihrer Mutter gefahren“, erzählt Gisela Anger. Selbst Frank sei völlig überrascht gewesen. „Vermutlich hatte sie das alles schon viel länger geplant gehabt“, sagt Gisela Anger.
Von da an wurde alles viel komplizierter. Frank fuhr alle zwei Wochen hunderte Kilometer, um sein Kind wenigstens ein paar Stunden zu sehen. Seine Mutter wollte immer wieder mit, aber Frank wehrte ab: Es sei gerade schwierig, die Kleine müsse sich in ihrer neuen Umgebung einfinden – wenn sie die Oma sehe, dann reiße das alte Wunden auf. Und, und, und. Gisela Anger akzeptierte es. Sie wollte es ihrem Sohn nicht noch schwerer machen. Für sie selbst wurde es aber von Woche zu Woche, von Monat zu Monat, immer schlimmer. „Es brach mir das Herz. Die Kleine fehlt mir so.“
Am Anfang, da habe sie noch hin und wieder mit Eva telefoniert. Aber die Gespräche wurden seltener – angeblich war Eva gerade nicht zu sprechen. Oder es ging ohnehin nur der Anrufbeantworter an. Die Rückrufe blieben irgendwann ganz aus. „Es war, als wollte mich meine Ex-Schwiegertochter schleichend aus Evas Leben entfernen.“ Inzwischen sind Frank und Ingrid geschieden – und die Oma hat keinen Kontakt mehr zu ihrem Enkelkind.
Natürlich habe sie überlegt zu klagen. Denn grundsätzlich haben Großeltern ein Recht auf Umgang mit ihrem Enkel (siehe Kasten). „Aber damit wäre ich Frank in den Rücken gefallen. Es ist kompliziert genug für ihn“, sagt sie. Mehr will sie nicht sagen.
„Ich habe die Kleine von Anfang an mitbekommen“, erzählt sie. „Ich habe auf sie aufgepasst, sie später immer wieder mal vom Kindergarten abgeholt, mit ihr gespielt. Wir haben so viel Schönes zusammen gemacht.“ Jetzt muss Gisela Anger weinen.
Wie es Eva nach der Trennung geht, kann die Oma nur erahnen – „immer noch nicht gut“, vermutet sie; ihr Sohn erzähle ja „häppchenweise“ das eine oder andere.
„Viele Eltern, die sich trennen, sehen nur ihre eigene Verletzung“, sagt Annemie Wittgen von der „Bundesinitiative Großeltern“, kurz BIGE. „Darüber würden sie oft vergessen, wie wichtig Oma und Opa für die Kinder sind – und auch, wie sehr die Großeltern unter der neuen Situation leiden.“ Wittgen rät oft dazu, einen Mediator in die Situation einzubeziehen. Dieser kann zwischen den Parteien vermitteln und ihnen helfen, sich auszusprechen.
Gisela Anger hat vor Kurzem ihren Sohn eindringlich gebeten, „darüber mal nachzudenken“. In ihren Augen wäre die Mediation ein Kompromiss: zwischen dem juristischen Weg und einem „Auf-der-Stelle-Treten“. Gisela Anger hofft, dass sie Eva dann endlich wiedersehen kann.
*Name geändert