November, ein trister Monat! Das graue Wetter, dazu die frühe abendliche Dunkelheit nach der Zeitumstellung. Und dann noch der Blick in den Kalender! Allerheiligen, Allerseelen, Volkstrauertag, Totensonntag.
„Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben …“ – diese Zeilen aus Rilkes „Herbsttag“ gehen mir zurzeit oft durch den Kopf. Auch deshalb, weil im Oktober zwei mir nahestehende Frauen überraschend zu Witwen geworden sind. Eine davon erst in den Vierzigern, die zweite Seniorin.
Beide haben langjährige, sehr gute Ehen hinter sich, beide hat der Tod ihres Partners schrecklich getroffen. Und beide werden – noch nicht gleich, aber irgendwann – wahrscheinlich vor derselben Frage stehen: Bleibe ich jetzt für den Rest meines Lebens alleine? Oder darf ich mich irgendwann auch wieder verlieben?
Das ist eine schwere, eine schmerzliche Frage, mit der ich auch in meiner therapeutischen Praxis immer wieder mal konfrontiert werde. Wenn nach dem Tod des Partners die ganz große Trauer abklingt, entsteht bei vielen Menschen doch nach und nach wieder der Wunsch nach einer neuen Beziehung. Nach Intimität und Geborgenheit, vielleicht sogar Leidenschaft.
Meist aber wird dieser Wunsch begleitet von einem schlechten Gewissen und Schuldgefühlen: Verrate ich meinen verstorbenen Partner, unsere gemeinsame Liebe, wenn ich so fühle? Darf ich überhaupt wieder glücklich sein, wo er/sie doch gestorben ist? Was wird mein Umfeld von mir denken, wenn ich eine neue Beziehung eingehe? Wer wird mich denn noch wollen? Wird eine neue Liebe nicht immer nur ein schlechter Ersatz für die frühere sein? Und nicht zuletzt: Will ich es wirklich wagen, mich wieder mit Herz und Seele an einen neuen Menschen zu binden – und es damit riskieren, vielleicht irgendwann ein zweites Mal den Schmerz über den Verlust auch dieses Menschen ertragen zu müssen? Ob und wann sich einem all diese Fragen stellen, wenn man seine/n Partner/in verloren hat, ist sehr individuell. Den einen treiben sie früher um, die andere später, manche nie. Den richtigen oder falschen Moment dafür gibt es nicht – jedenfalls nicht aus therapeutischer Sicht.
Ich halte es auch für einen unrealistischen Anspruch, man müsse seine Trauerarbeit „abgeschlossen“ haben, ehe man sich neu verlieben könne oder dürfe. Das ist nach einer schmerzhaften Scheidung sicher empfehlenswert. Nach einem Todesfall sind meiner Erfahrung nach die Übergänge aber eher fließend: Trauer und Verliebtheit stehen dann oft eine Weile lang nebeneinander. Und warum auch nicht? Im Leben ist nun mal nicht alles schwarz-weiß.
Wenn Sie selbst vielleicht zu denjenigen gehören, die gerade mit den obigen Fragen ringen, möchte ich Ihnen für diese Novembertage gerne zwei Gedanken mit auf den Weg geben. Der erste: Fragen Sie sich bitte, was Ihr/e verstorbene/r Partner/in sich für Sie wünschen würde. Wenn Sie mögen, gehen Sie doch mal in einer stillen Stunde mit ihm oder ihr in einen inneren Dialog. Das tun Sie vermutlich ja ohnehin bei vielen Themen. Ich bin mir eigentlich recht sicher, wie die Antwort lauten wird.
Den zweiten Gedanken verdanke ich der Bonner Trauerbegleiterin Chris Paul. In einem Vortrag sagte sie einmal sinngemäß, man möge sich Liebe nicht als ein – begrenztes, aufzuteilendes – Gut, sondern als eine – unbegrenzte – Fähigkeit vorstellen. Was bedeutet: eine neue Liebe schmälert die alte nicht und nimmt ihr nichts weg.
Schon Blaise Pascal wusste: Liebe hat kein Alter, sie wird ständig neu geboren!
Die renommierte Diplom-Psychologin und Buchautorin schreibt, warum es so wichtig ist, sich nach dem Tod des geliebten Partners niemals unter Druck setzen zu lassen.