Gerade noch war alles in Ordnung. Manfred G., 75, lag in seinem Krankenhausbett, fühlte sich wohl – er war nur ein bisschen müde nach einer größeren OP. Doch plötzlich wirkt er völlig apathisch, sagt kein Wort mehr, blickt sich hilfesuchend um. Wo bin ich? Was ist passiert?
Vor allem bei älteren Menschen können schwere Operationen oder Infekte ein sogenanntes Delir auslösen, einen akuten Verwirrtheitszustand – mit fatalen Folgen, wenn dies zu spät erkannt wird. Ohne Behandlung könne das Delir schwerste Komplikationen im Herz-Kreislauf-System und bei der Atmung verursachen und sogar bis zum Tod führen, heißt es unter Experten.
„Es gibt mehrere essenzielle Merkmale eines Delirs“, erklärt Stefan Kreisel, ärztlicher Leiter der Abteilung für Gerontopsychiatrie an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Evangelischen Klinikums Bethel in Bielefeld. „Es treten Symptome auf, die vorher nicht vorhanden waren – und zwar akut und nicht schleichend wie bei einer Demenz.“
Der Zustand des Patienten verändert sich in kurzer Zeit und fluktuiert im Laufe eines Tages: „Mal wirken die Patienten ganz klar, dann sind sie plötzlich weggetreten und kaum noch ansprechbar“, schildert Kreisel. Wichtig ist zunächst, dass die Symptome überhaupt jemand bemerkt. „Vor allem bei eher in sich gekehrten, apathisch wirkenden Menschen wird ein Delir oft übersehen.“
Deshalb gibt es in vielen Krankenhäusern spezielle Präventionsprogramme. Für ältere Patienten kann es sich lohnen, bei der Wahl des Behandlungsortes darauf zu achten. Denn ihr Delir-Risiko ist besonders hoch. Entscheiden sei hier, wie verwundbar das Gehirn ist, sagt Kreisel: „Menschen, die kognitiv intakt und gesund sind, können Ereignisse wie eine Operation besser verkraften.“
Wie oft ein Delir auftritt, ist unklar. „Die Spanne reicht über alle Krankenhauspatienten hinweg von 5 bis 35 Prozent“, heißt es. Und: „In den Risikogruppen, also bei Patienten über 65 Jahren, findet sich teilweise eine Delir-Häufigkeit von bis zu 70 Prozent.“
Eine effektive medikamentöse Behandlung gibt es nicht – es kommt vor allem auf die Betreuung der Betroffenen an. Und: Je schneller Patienten wieder in ihr vertrautes Umfeld entlassen werden können, desto hilfreicher ist das. Ambulante Eingriffe sind daher oft die beste Wahl. Denn: Die gewohnte Umgebung und eine gute Orientierung der Patienten können dazu beitragen, dass die Symptome nachlassen. In der Regel verschwinden sie spätestens nach einigen Wochen von selbst.
In vielen Krankenhäusern gibt es auch spezielle Maßnahmen, um einem Delir möglichst gut vorzubeugen – und schnell auf dessen Auftreten zu reagieren: Bei Risikopatienten wird nach OPs etwa ein Delir-Screening durchgeführt. „Dabei werden Patienten auf das Vorliegen kognitiver Einschränkungen untersucht“, heißt es. „Außerdem ist es sehr wichtig, alle eingenommenen Medikamente zu erfassen. Alles, was verschrieben wurde – aber auch Präparate, die Patienten selbst kaufen und regelmäßig nehmen.“ Denn: Allein schon überdosierte, falsch ausgewählte oder falsch kombinierte Medikamente können bei Älteren einen akuten Zustand der Verwirrtheit mit erhöhter Komplikationsrate auslösen.
Besteht ein großes Delir-Risiko, kann man das beim Narkosemanagement berücksichtigen. Meist versuchen die Ärzte – sofern möglich – auf alles zu verzichten, was das Bewusstsein beeinflusst und damit das Delir-Risiko steigert.
Entscheidend sei auch, den Patienten die Angst vor einem anstehenden Eingriff zu nehmen. Denn diese Angst und auch Stress spielen eine wichtige Rolle bei der Entstehung eines Delirs. Insbesondere Angehörige können dabei eine wichtige Stütze sein – wenn sie über das Risiko informiert sind. Dadurch können sie nämlich den Krankenhausaufenthalt entsprechend begleiten: „Es hilft, wenn Patienten vertraute Dinge bei sich haben, zum Beispiel das Hochzeitsfoto, das seit 15 Jahren auf ihrem Nachttisch steht. Das nimmt dem Klinikaufenthalt den Schrecken“, sagen erfahrene Ärzte. Sinnvoll ist es zudem, viele Besuche nahe stehender Personen zu organisieren. Das hilft einerseits den Patienten, da es ein Gefühl von Vertrautheit verschafft. Gleichzeitig erhöht sich die Chance, dass Symptome eines Delirs sofort bemerkt werden. „Angehörige kennen den Patienten am besten – sie merken deshalb besonders schnell, wenn etwas nicht stimmt!“