Warum Smartphone-Kameras so gut sind

von Redaktion

Nokias neue Smartphone-Kamera 9 PureView mit fünf Linsen oder das Xiaomi Mi 9 mit 48-Megapixel-Kamera: Die Bildqualität, die aktuelle Smartphones liefern, wird immer brillanter. Woher kommt das?

VON JÖRG HEINRICH

Wie kann das sein, dass ein nur wenige Millimeter dickes Smartphone Bilder liefert, für die früher eine Spiegelreflex notwendig war? Wir erklären das Foto-Wunder und verraten, wie die Zukunft aussieht. Erst kürzlich hat Apple die Gewinner seines Foto-Wettbewerbs „Shot on iPhone“ präsentiert (bit.ly/foto-top-10). Die zehn Bilder, aufgenommen mit Smartphones vom iPhone 7 (ab 519 Euro) bis zum aktuellen iPhone XS Max (ab 1249 Euro) sehen so exzellent aus, dass man die Bezeichnung „Handyfotos“ gar nicht mehr verwenden will. Brillante Farben, messerscharfe Details und kreative Tricks mit der Hintergrund–unschärfe sorgen für große Fotokunst. Andere aktuelle Top-Smartphones, vom Google Pixel 3 (ab 599 Euro) bis zum Huawei Mate 20 Pro (ab 719 Euro) bringen ähnlich exzellente Bilder zustande – obwohl sie, ebenso wie das iPhone, gegenüber „echten“ Kameras in Sachen Hardware stark gehandicapt sind.

Starke Prozessoren

Sonys Vollformatkamera A7R III für 3100 Euro ist 7,3 Zentimeter dick – das entspricht zehn iPhone XS. Und dabei ist das Objektiv der Sony noch nicht einmal mitgerechnet. Ohne Zweifel schießt die A7R III immer noch bessere Bilder als ein Smartphone. Sie fotografiert schneller, noch detailreicher, in höheren Auflösungen. Aber der Vorsprung schmilzt – vor allem, wenn Smartphone-Kameras bei gutem Licht ihre Stärken ausspielen können. Dann ist die Qualität der Fotos oft kaum mehr zu unterscheiden. Und das, obwohl iPhone & Co. kaum Platz für Objektive und Bildtechnik bieten. Zum Vergleich: Der Fotosensor der A7R III, der das Licht einfängt, ist mit 862 Quadratmillimetern 20 Mal größer als im iPhone XS. Dass die Handy-Fotos dennoch immer besser werden, dafür sorgen künstliche Intelligenz und extrem starke Prozessoren, die es in klassischen Kameras nicht gibt, weil sie dann viel zu teuer wären.

Künstliche Intelligenz

Maschinelles Lernen, das Bildinhalte erkennt und Fotos entsprechend einsortiert, gibt es bei Google bereits seit dem Start des Bilderdienstes Google Photos 2015. Dieser Algorithmus hat beispielsweise gelernt, wie sich das schwarz-weiße Muster eines Pandas von dem einer Holsteiner Kuh unterscheidet. Durch diese künstliche Intelligenz „erkennen“ die Kameras mittlerweile, was sie fotografieren, und optimieren die Bilder entsprechend.

Software-Tricks

Ein Meilenstein war Apples Doppel-Kamera im iPhone 7 Plus. Sie ermöglichte im Jahr 2016 erstmals das Freistellen von Porträts und anderen Objekten vor einem unscharfen Hintergrund – ein attraktiver Effekt („Bokeh“), den davor nur hochwertige Kameras beherrschten.

Die Software erkennt dabei das Motiv im Vordergrund, und lässt den Hintergrund verschwimmen. Bei „echten“ Kameras sorgt das Objektiv mit seiner aufwändigen Glas-Konstruktion für diesen Effekt. Bei Smartphones steckt ein reiner Software-Trick dahinter und liefert sozusagen ein Schummel-Bokeh – das sich bei den aktuellen iPhones sogar nachträglich verändern lässt.

Google-Effekt

Effekt-Weltmeister in Sachen künstlicher Intelligenz ist Google, dessen aktuelles Smartphone Pixel 3 sogar mit nur einer Linse auf der Rückseite dank brillanter Fotos in allen Tests weit vorne liegt. Attraktion des Pixel 3 ist der Nachtmodus „Night Sight“, der selbst bei Dunkelheit taghelle Aufnahmen liefert. Mit der Realität, die das Auge wahrnimmt, hat das allerdings nicht mehr viel zu tun. Auch dafür gibt es bereits einen Fachbegriff: „Fauxtography“, die gefälschte Fotografie.

Die Zukunft

Auf der Mobilfunkmesse Mobile World Concress in Barcelona war kürzlich schon die nächste Generation der Smartphone-Kameras zu sehen. Das Nokia 9 PureView (ab Ende März für 649 Euro erhältlich ) soll mit seinen fünf Zeiss-Linsen erstmals ein Bokeh von der Qualität einer Spiegelreflex erzeugen. Oppo zeigte den Prototypen eines verlustfreien optischen Zehnfach-Zooms für Smartphones. Im Sommer soll das erste Handy mit dieser Technik erscheinen, die mit einem Periskop-Effekt für eine Brennweite von 16 bis 160 Millimetern sorgt.

Sony kooperiert mit der Firma Light, dem Hersteller der revolutionären Kamera L16, die mit 16 Linsen echte Spiegelreflex-Bildqualität in Smartphone-Größe liefern soll. Mit dieser Technik will Sony einen weiteren Quantensprung bei Handyfotos schaffen. Apple bringt im Herbst am iPhone XI seine erste Dreifach-Kamera. Und auch Google kommt beim Pixel 4 um ein System mit mehreren Linsen nicht mehr herum. Diese Hardware, gepaart mit künstlicher Intelligenz – klassische Kamerahersteller wie Canon oder Nikon müssen sich warm anziehen.

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