Vom Stapel gelaufen

von Redaktion

Die britische Version von „Titanic“ überzeugt im Deutschen Theater

VON TOBIAS HELL

Um mögliche Missverständnisse gleich von vorneherein auszuräumen: Nein, „Titanic – The Musical“ hat mit James Camerons Leinwandepos aus den Neunzigerjahren rein gar nichts zu tun. Da gibt es keinen Jack, keine Rose und – dem Himmel sei Dank – auch kein Céline-Dion-Double, das mit wehenden Haaren am Bug des Ozeanriesen steht. Schließlich brachten Komponist Maury Yeston und Autor Peter Stone ihre Version anno 1997 bereits Monate vor dem Kinostart des Films an den Broadway, wo man auf respektable 830 Vorstellungen kam.

Genau wie das Stück selbst sucht auch die exzellente englische Tourneeversion der Show, die aktuell im Deutschen Theater gastiert, ihren eigenen Weg, um sich der Titanic-Legende zu nähern. Was bei der deutschen Erstaufführung 2002 in Hamburg einst als pompös aufgetakeltes Technikfeuerwerk vom Stapel lief und schnell wieder unterging, präsentiert sich in der klug reduzierten Inszenierung von Thom Southerland nun als eine Art Kammerspiel, bei dem keine unnötigen Effekte von den kleinen Einzelschicksalen ablenken, die hier vor dem Hintergrund der großen Tragödie verhandelt werden. Sicher, auch auf dieser Titanic gibt es elegant fließende Choreografien zu nostalgisch angehauchter Tanzmusik und kraftvoll intonierte Chorszenen, die vom Publikum mit ähnlich lautstarkem Applaus bedacht werden.

Doch wenn man die größte Stärke der Produktion benennen müsste, so ist dies zweifellos die Leistung des 25-köpfigen Ensembles, das mit zahlreichen Kostümwechseln die unterschiedlichen Decks des Ozeanriesen bevölkert. Vom stickigen Maschinenraum bis hinauf in den luxuriösen Salon der ersten Klasse.

Yeston und Stone lösen sich dabei von konventionellen Erzählmustern und zeigen uns bewusst kein zentrales Paar nach Romeo-und-Julia-Blaupause oder eine verzwickte Dreiecksgeschichte. So fehlt zwar – um bei den nautischen Vergleichen zu bleiben – auf den ersten Blick ein Anker fürs Publikum. Aber die vermeintliche Schwäche entpuppt sich im Laufe des Abends zunehmend als Stärke. Bekommen so doch alle ihren kleinen Moment im Rampenlicht. Und wenn es dann um die Verteilung der Rettungsboote geht, fiebert man tatsächlich mit jedem Einzelnen. Sei es Niall Sheehy als Heizer Frederick, der zuvor mit kraftvoller Stimme eine sehnsuchtsvolle Ballade an die Verlobte in der Heimat schicken durfte. Oder Wendy Fergusons urkomische Klatschtante Alice, die mit ihren ungeschickten Versuchen, sich unter die Reichen und Schönen zu mischen, für Lacher sorgt, vor allem aber von einem besseren Leben für sich und ihren Mann träumt.

Ein Wunsch, den sie mit der jungen Auswanderin Kate teilt, die Lucie-Mae Sumner mit einer ordentlichen Portion Selbstbewusstsein ausstattet. Und dass das letzte anrührende Liebesduett mit Judith Street und Dudley Rogers ausgerechnet den Senioren im Ensemble gehört, ist ebenfalls ein cleverer Bruch mit dem Klischee, der seine Wirkung nicht verfehlt.

Das bereits angedeutete tragische Ende dürfte für niemanden eine Überraschung sein. Und so beeindruckt es umso mehr, wie es der Produktion gelingt, nach dem Eisberg-Cliffhanger zum Pausenfinale die Spannungskurve im zweiten Teil dennoch konstant ansteigen zu lassen. Etwa mit den aufbrausenden Schuldzuweisungen zwischen Reeder Ismay, seinem Kapitän und dem Schiffskonstrukteur Thomas Andrews oder durch die beklemmende Stille, die sich nach dem leisen Verklingen der ein letztes Mal auftauchenden Tanzmusik breitmacht. Gänsehautstimmung ganz ohne Druck auf die Tränendrüse. Das muss man so erst einmal hinkriegen.

Weitere Aufführungen

bis 21. Juli; Karten unter Telefon: 089/55 234-444.

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