Irgendwann musste gedrückt und geschoben werden. Zusätzliche, nicht geplante Vorstellungen der 2018 so gefeierten „Salome“ – gibt das der schon volle Spielplan her? Es hat geklappt. Noch dreimal ist also heuer eine der erfolgreichsten Opern-Produktionen nicht nur des vergangenen Salzburger Jahres zu erleben. Erfolgreich, weil sie alle Zutaten für ein Ereignis hat: eine Sopranistin mit Star-Qualitäten (Asmik Grigorian), die bestmöglichen Strauss-Experten im Graben (Wiener Philharmoniker, Franz Welser-Möst) und eine Regie (Romeo Castellucci), die das Hirn der Avantgarde-Jünger genauso bedient wie die Sinne ortsüblicher Kulinariker.
Gerade Letzteres, dieser heikle Spagat, diese Befriedigung unterschiedlicher Publikumsfraktionen, könnte eines der Hauptmerkmale der Intendanz von Markus Hinterhäuser werden. Bis 2026 wurde sein Vertrag gerade verlängert. Auch weil das lange Zeit nur nominell wichtigste Festspiel tatsächlich einen neuen Bedeutungsschub erhalten hat. Hinterhäuser hat seine Lektionen beim früheren Intendanten Gerard Mortier (unter dem er sich um Konzerte und das „Zeitfluss“-Festival kümmerte) gelernt. Inhaltliches ist Hinterhäuser genauso wichtig wie seinem Mentor. Die Lust aufs Provokative, aufs stichelnde Störmanöver, all das widerspricht aber – zur Freude von Entscheidungsträgern und Finanziers – seinem Naturell.
Und doch wird 2019, gemessen an den vorangegangenen Spielzeiten, eher eine Saison für Connaisseure. Cherubinis „Medée“, Enescus „Œdipe“, Verdis „Simone Boccanegra“, Mozarts „Idomeneo“ – weit oben rangieren diese Titel in der Hitliste nicht gerade. Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ wirkt da wie eine grelle Ausnahme, und dies nicht nur, weil Barrie Kosky inszeniert. Was sich bei alledem langsam formiert, das ist die Hinterhäuser-Familie. Zu der gehören Regisseure wie Castellucci und Simon Stone (heuer „Medée“, 2017 „Lear“), Solisten wie Igor Levit, vor allem aber das Lieblings-Duo des Intendanten, Dirigent Teodor Currentzis und Regisseur Peter Sellars.
Beide zeichneten sie vor zwei Jahren verantwortlich für Mozarts „La clemenza di Tito“ zu Beginn der Regentschaft Hinterhäusers. Heuer soll Mozarts anderer Opera seria „Idomeneo“ für ebensolche Diskussionen sorgen – ein riskanter Wiederholungsversuch. Und mehr noch: Currentzis ist für Wagners „Tristan und Isolde“ im kommenden Jahr gesetzt, das Liebesdrama soll allerdings von Castellucci inszeniert werden. Alles Merkmale also keiner Revolution, eher einer sanften, allen vermittelbaren Reform. Dass immer wieder Superstars wie Anna Netrebko und Plácido Domingo auftauchen müssen, hat der Intendant längst verstanden – Hinterhäuser ist, auch bedingt durch Privates, längst zum Everybody’s Darling an der Salzach geworden.
Und doch naht der Umbruch. Ende 2020 wird Helga Rabl-Stadler wohl als Präsidentin der Festspiele aufhören. Mehrfach hat sie mit einem Rückzug kokettiert, nun ist es offenbar endgültig. In den Übergangszeiten, als das Festival in schneller Folge die Intendanten wechselte, wurde Rabl-Stadler zur Konstante und hat, auch durch ihr Finanz- und Sponsorengespür, erheblich an Format gewonnen. Rabl-Stadler und Hinterhäuser ergänzen sich derzeit perfekt. Er, der sanfte Künstlerintendant, der bei Unvorhergesehenem schon mal in Panik verfallen kann. Und sie, die eiserne Lady Salzburgs, die „ihrem“ Markus fast in mütterlicher Resolutheit verbunden ist. Fällt diese Arbeitsteilung weg, auch die enge, in vielen Jahren gewachsene Verbundenheit mit dem Inhaber des Präsidentenamtes, muss sich also Hinterhäuser neu definieren.
Zunächst aber richten sich schon alle Anstrengungen auf den 2020er-Durchgang. Dann feiern die Festspiele ihren 100. Geburtstag, für den ein Rekordbudget von 66,5 Millionen Euro genehmigt wurde. Zum Vergleich: Heuer sind es 61,7 Millionen. Im Mozartjahr 2006 betrug es „nur“ 53,1 Millionen. Die Politik betont, damit seien keine Erhöhungen der Subventionen verbunden, die Mehreinnahmen sollen über Sponsoren und den Kartenverkauf erzielt werden.
Mehr Vorstellungen als sonst gibt es, 2020 wird also das Salzburger Superjahr. Ob dafür auch ein neuer „Jedermann“ inszeniert wird, wollte noch niemand bestätigen. Gerüchteweise soll sogar die historische Inszenierung von Max Reinhardt aus dem Jahr 1920 reanimiert werden. Was sich aber herausschält: Neben Wagners „Tristan“ wird Russisches im Zentrum des Opernprogramms stehen, Mariss Jansons plant mit den Wiener Philharmonikern Mussorgskis „Boris Godunow“.
Der 2019er-Durchgang demnach eine Saison zum Luftholen? Dafür sind die bevorstehenden sechs Wochen zu vielfältig, zu ambitioniert. Gestartet wird an diesem Freitag mit einem „Fest zur Festspieleröffnung“. Gratis-Karten sollen ein breites Publikum anlocken ebenso wie ein populäres Programm vom Begrüßungssalut über eine Lesung mit Peter Lohmeyer bis zur Eisenbahnermusikkapelle Salzburg. Tags darauf ist dann „Jedermann“-Wiederaufnahme. An der Seite von Tobias Moretti debütiert Valery Tscheplanowa, früher im Ensemble des Münchner Residenztheaters, als Buhlschaft. Nur ein paar Sätze Rollentext, ein neues Kleid und trotzdem ein Zentralereignis – auch dies eine alte Salzburger Tradition.
Informationen
zu Programm und Verkauf unter www.salzburgerfestspiele.at.