Mit 19 Jahren entscheidet sich Maria Ilva Biolcati, jemand anderes zu werden. Das nach eigener Aussage „dürre, dunkle, unansehnliche“ Mädchen marschiert zum Friseur und verlangt eine feuerrote Mähne. Es ergattert bei einem Talentwettbewerb – bei über 7000 Mitbewerbern – ein Stipendium für eine Gesangsausbildung und feiert 1961 als Milva beim berühmten Festival in San Remo den Durchbruch. Seitdem ist sie italienisches Kulturgut. Eigentlich, behauptet sie später, habe sie gar keine Sängerin werden wollen. Aber damit konnte man schnell viel Geld verdienen und die Familie unterstützen.
Milva wächst in sehr einfachen Verhältnissen in der seit jeher tiefroten Region Emilia Romagna auf. Der Vater hat seinen Job verloren, die Mutter schneidert. Die Familie habe kein Geld gehabt, aber Würde, sagt sie. Auch als erfolgreiche Entertainerin verweist sie immer auf ihre proletarische Herkunft. Sehr bewusst singt sie Arbeiter- und Partisanenlieder und vor allem Brecht/Weill. Regielegende Giorgio Strehler erklärt Milva zur besten Brecht-Interpretin, die er kenne, einfach weil sie den Figuren in den Liedern so nahe sei.
Bald singt sie Französisch, Englisch – und Deutsch. Ihre Platte mit Mikis-Theodorakis-Interpretationen macht sie 1978 in Deutschland zum Star. Ihr größter Hit wird dann 1983 „Hurra, wir leben noch“, gewissermaßen ihr Erkennungslied. Renommierte Komponisten wie Klaus Doldinger und Ennio Morricone schreiben für sie. Ihre trainierte Alt-Stimme hebt sie von anderen Sängerinnen ab und bedient gemeinsam mit ihrer flamboyanten Erscheinung das Klischee einer feurigen Südländerin. Ihr Temperament ist tatsächlich bald ebenso berüchtigt wie ihr spektakuläres Privatleben, von dem sie selber sehr ausführlich berichtet. Milva hat keine Krisen, sie ist ein Ausnahmezustand. Beruflich pflegt sie das Image der starken Frau. Privat leidet sie darunter, ihre Familie für einen anderen Mann verlassen zu haben. Die Affäre endet im Desaster. Das Muster wiederholt sich. Die Beziehung zur Tochter ist lange schwierig, zu Menschen generell, möchte man sagen. Da können sich Unbeteiligte schon mal ohne erkennbaren Anlass eine Ohrfeige einfangen.
Bei Journalisten ist Milva ob ihrer Launen gefürchtet. Mal erzählt sie offen von ihrem Innersten, mal beschimpft sie den Gesprächspartner oder kündigt – seit Jahrzehnten mittlerweile – ihren völligen Rückzug aus dem Showgeschäft an. Die schlagerlastigen deutschen Hits der Achtziger mag sie nicht so recht, singt sie aber immer wieder. Trotz Allüren ist die Frau Profi. Zwischendrin hat sie sich erfolgreich an der Oper ausprobiert, geschauspielt und im Verbund mit Astor Piazzolla den Tango für sich und ihre Fans entdeckt. Und pausenlos Musik aufgenommen. Alles andere als die Musik scheint ihr mittlerweile egal zu sein. Am liebsten sei sie alleine. Gut möglich, dass sie heute Abend ihren 80. Geburtstag so verbringt wie angeblich jeden anderen Abend auch – das Essen aufwärmen, das die Haushälterin vorbereitet hat und das Alleinsein genießen: „Ich bin zufrieden. Ich habe alles im Griff.“ Man widerspricht lieber nicht, wer weiß, was einem sonst blüht.