„Reingehen – Machen – Rausgehen.“ So charakterisiert die Schweizer Malerin Miriam Cahn (Jahrgang 1949) bei der Pressevorbesichtigung im Münchner Haus der Kunst die Vorgehensweise der jungen Künstlerin Miriam. Die eroberte riesige Formate (Zeichnung) mit ihrem Körper und schwarzer Kreide. Auf einem Bild sind neben einem bewegten Bergmassiv viele Fußabdrücke von ihr zu sehen. In den Sechziger- und Siebzigerjahren habe sie Performancekunst beeindruckt, weil sie so körperbezogen gewesen sei. Das setzte einen ebenso intensiven Impuls wie die heftigen Diskussionen der Frauenbewegung.
Die von Jana Baumann kuratierte Ausstellung „Miriam Cahn – Ich als Mensch“, die in Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum Bern und dem Museum für moderne Kunst Warschau entwickelt wurde, ist denn auch eine eminent politische. Zum Glück ist Cahn eine viel zu sensitive und sinnliche Künstlerin, um in fade, plumpe Propaganda zu verfallen. Viele Werke zeigen das Abgrund-Schreckliche, viele Werke sind aber auch hinreißend schön. So oder so zielt sie weniger aufs Konkret-Politische als auf politische Menschheitsaussagen: über die Gewalt. Sie zersetzt Opfer und Täter – und die Beziehung zwischen Mann und Frau. Deswegen kennt Cahn im letzten Galeriesaal keine Gnade (nach dem Treppenaufgang links); empfindlichere Gemüter sollten ihn meiden.
In ihrer eigenen Skizze zum Konzept der Schau nennt sie ihn „Sexraum“. Die Gemälde, die teilweise mit subtilstem Farbenspiel bezaubern, knallen dem Besucher trotzdem vor allem das fürchterliche Verwobensein von Sexualität und Brutalität auf die Augen. Arbeiten wie „liebenmüssen“, tötenmüssen“ oder „atmenmüssen“ zeigen in duftigen Nuancen das Ineinanderkrallen der Körper in Sehnsucht und Hass oder das Ausgeliefertsein an die Einsamkeit. Miriam Cahn markiert die Geschlechtsteile überdeutlich, um deren Verletzlich- und Bedrohlichkeit herauszuheben. Im Saal zuvor wird all das konkreter auf die Not von Frauen und Kindern im Krieg, auf der Flucht bezogen. Gerade die Kampfhandlungen und Flüchtlinge unserer Zeit, die uns verzweifeln lassen, bewegen Miriam Cahn tief – nicht nur, weil sie aus einer jüdischen Emigrantenfamilie stammt.
Am eindrücklichsten gelingt der Documenta- und Biennale-Teilnehmerin die Schmerz- und Kraftanalyse in der Art, wie sie Gesichter erzeugt: malerisch, zeichnerisch, geschichtet, überlagert, verwischt. Bei „fremd“ (2017) ist der Leib, dieses Fleisch, das zu sexueller Verfügbarkeit degradiert wird, im Grunde verschwunden – genauso wie das Antlitz. Die Malerin markierte es nur noch durch eine kindliche Strichzeichnung. Knallig nur der Kussmund als Sexobjekt. Bei „unklar“ (1994) ist der weibliche Mensch noch in leuchtendem Rot vorhanden, vor allem Busen und Vagina. Das Gesicht in Blau, Grün und Rosa ist zu einer Maske der Undurchdringlichkeit gefroren. Ähnlich wie bei der „kriegerin“ von 2013 spiegeln sich Seele und Gemüt. Das grenzt an ein künstlerisches Wunder, denn die Züge sind erstarrt.
Gerade in diesen Werken aus Pastell und Aquarell blüht Cahns Farbmusik auf. Sie flirrt zwischen Komposition und Improvisation – und befeuert unsere Sinnenlust. Dabei begann die Schweizerin, die in der Grafikklasse der Kunstgewerbeschule Basel lernte, mit den Schwarz-Weiß-Grau-Tönen der Zeichnung. Die teils wandfüllenden Formate formen zusammen mit den am Boden liegenden Skizzenbüchern eine komplette Albtraum-Welt. Prophetisch mutet heute an, dass sie 1982 für „World Trade“ die Türme in diesen düsteren Reigen einreihte. Die Farben explodierten dann 1991 in der Serie „atombomben“. Das beschreibt Miriam Cahns Beziehung zu Schönheit und Schrecken treffend.
Bis 27. Oktober,
Mo.-So. 10-20; Do. 10-22 Uhr; 089/21 12 71 13. Katalog, Hirmer Verlag: 29,90 Euro für die Museumsausgabe.