Goldbronzenes Leuchten, Schweben und Balancieren inmitten von Grün. Vor dem Franz Marc Museum in Kochel ragt jetzt ein skulpturales Wunderwerk in den Himmel: Es gestaltet den Raum, es spielt mit Ansichten. Es ist quasi ein Manifest, was Kunst kann und ist. Mit Tony Craggs „Gabelung“ hat das Haus ein passendes Ausrufezeichen in den Park gesetzt, aktuell ergänzt von einer aufschlussreichen Ausstellung zum 70. Geburtstag des Künstlers.
Dass Cragg für das neue Wahrzeichen gewonnen und es auch finanziert werden konnte, ist beachtenswert. Denn der gebürtige Brite und Wahl-Wuppertaler ist mega-renommiert: Turner-Preis, Bundesverdienstkreuz, von 2009 bis 2013 Rektor der Düsseldorfer Kunstakademie, 2016 zum Sir Anthony Douglas Cragg geadelt. Er ist trotzdem am Boden geblieben und meinte zu seinem Jubiläum nur: „Mit 70 ist es ein bisschen wie beim TÜV. Man muss sehen, dass die Bremsen noch funktionieren und das Rücklicht noch geht.“
Seine Bronze vor dem Haus, fast wie eine Wirbelsäule, zeigt: Es geht noch alles. Sie demonstriert Leichtigkeit und Bodenhaftung, Dynamik und Stabilität, vor allem Wandelbarkeit. Das ist der Charakter vieler Arbeiten Craggs, die zuletzt 1998 in Bayern gezeigt wurden. Was sich seitdem getan hat, breitet sich im Museum über ein ganzes Stockwerk aus. Anhand der mehr als 70 Zeichnungen versteht man, wie Cragg Körper, Umfeld und vor allem die nicht sichtbare Umgebung für seine Arbeiten entschlüsselt: Körperliche Lebensströme und menschliche Bezugsfelder zentrieren sich. Gebilde aus Zellen als Basis werden untersucht. Chromosomen, Astronauten-ähnlich, gehen direkte und übergeordnete Verbindungen ein. Manchmal meint man, es geht um chemische Verbindungen, dann wieder ähnelt die gezeichnete Existenz einer Computersprache. An Cragg, das spürt man sofort, ging ein Wissenschaftler verloren. In jungen Jahren hat er in einem Labor gearbeitet – sein Interesse für Chemie und Physik lebt er heute als künstlerischer Alchimist aus.
Mit 18 Skulpturen erweist er sich als „radikaler Materialist“ im Wortsinn: Er erfasst und beherrscht die komplexen Zustände von Material. Der „Visible Man“ (2015) aus Glasadern, der Schädel (2016) aus weißen Röhren, hölzerne organische Formen oder die schwarze Gruppe (2012) aus Schichtungen irgendwo zwischen Gestein und Bandscheiben – sie alle bergen verschiedene Seiten und (sichtbare) Profile des Menschlichen. Sie erinnern an die Futuristen mit ihren Bewegungsstudien, füllen sie aber mit neuen Inhalten. Passender Abschluss: „Point of View“ (2012) vor dem Fenster, dessen blanker Edelstahl uns und die Welt spiegelt.
Bis 6. Oktober
Di-So. 10-18 Uhr,
Franz Marc Park 8-10,
82431 Kochel am See,
Katalog: 24,80 Euro; Telefon 08851/ 92 48 80.