Ach, wie sind wir cool!

von Redaktion

PREMIERENKRITIK  Puccinis Oper „La bohème“ am Gärtnerplatztheater

VON TOBIAS HELL

Bei zwei Opernhäusern in der Stadt lassen sich Repertoire-Doubletten nicht immer vermeiden. Denn welches Theater verzichtet auf einen Kassenmagneten wie „La bohème“? Während man an der Staatsoper bei Otto Schenks Produktion von 1969 bereits mehrere Sängergenerationen kommen und gehen sah, kann das Münchner Gärtnerplatztheater im selben Zeitraum nun die dritte Neuinszenierung von Puccinis Dauerbrenner vorweisen. Diesmal verantwortet von Bernd Mottl, der, anders als seine Vorgänger, zum Glück nicht auf Schenks Spuren wandelt, sondern bemüht ist, der Geschichte  einen neuen Dreh zu verleihen. Mottl versucht, Klischees dabei ähnlich konsequent zu meiden wie der Teufel das sprichwörtliche Weihwasser und begründet seinen Kampf gegen Sehgewohnheiten stets aus dem Text.

Ob man Rodolfos Story vom millionenschweren Erbonkel tatsächlich für bare Münze nimmt oder doch eher als Flunkerei beim ersten Date verbucht, muss jeder selbst entscheiden. Für Mottl ist es Anlass genug, die sonst zur Armut verdammte Künstler-WG von Kostümbildner Alfred Mayerhofer in knallbunte Designerklamotten stecken zu lassen und sie mit technischen Statussymbolen auszustatten. So etwa die vergoldeten Kopfhörer für DJ Schaunard oder das allgegenwärtige Pad für den Poeten Rodolfo, der alle Details seines Lebens für die Sozialen Netzwerke dokumentiert. Existenzängste sind fern. Statt romantisch verklärter Bühnenarmut erlebt man einen Haufen reicher Kids, die sich zur Steigerung der Coolness als Hausbesetzer stilisieren. Da ist es fast ein Wunder, dass es in dieser auf Hip und Heutig getrimmten „Bohème“ überhaupt noch ein Dramenskript gibt, das im Kamin eingeäschert werden kann. Aber auch das steht halt im Libretto und ist damit bei Mottl Pflicht.

Als Domizil für die Bohémiens hat Ausstatter Friedrich Eggert einen spartanisch möblierten Salon bauen lassen, in dem sich die Belegschaft des theatereigenen Malersaals mit Graffiti austoben durfte und dabei wirklich ganze Arbeit geleistet hat. Wer den Blick etwas schweifen lässt, wird immer wieder kleine Details und Botschaften finden, die sich subtil ins Durcheinander eingeschlichen haben, während es auf der Bühne selbst oft etwas handfester und nicht frei von typischen Operngesten zugeht. Gerade dann, wenn Mottl die komischen Seiten des Stückes bedient und dabei auch so manch neuen humoristischen Aspekt entdeckt. Was im zweiten Bild beim schrillen Auftritt von Musetta samt singendem Christbaum und strippendem Weihnachtsmann noch bestens unterhält, raubt dem Finale doch einiges an Tragik. Die Versuche, die sterbende Mimì mit kleinen lustigen Einlagen aufzumuntern, sollen eine Art Fallhöhe aufbauen, was aber nur bedingt aufgeht. Denn der stylisch glatten Produktion würde ein wenig strategisch platzierter Schmutz nicht schaden.

Einen Menschen frei von jeder Selbstinszenierung darf einzig Camille Schnoor als Mimì auf die Bühne stellen. Eine Rast- und Heimatlose, stets mit Taschen oder Rucksack bepackt, die sich mit ausladendem Sopran wohl bereits für größere Häuser empfehlen möchte, genau wie der geschmeidige Rodolfo von Lucian Krasznec. Beide trumpfen mit ihren Arien im ersten Bild gewaltig auf, sollten sich angesichts der Dimensionen des Gärtnerplatztheaters aber öfter trauen, sich ein wenig zurückzunehmen, um jene Nuancen zu entdecken, die ihre melancholische Szene im dritten Bild zu einem Höhepunkt des Abends machen. Dirigent Anthony Bramall würde dem nicht im Weg stehen. Er hat das in exzellenter Form aufspielende Orchester bestens im Griff, erdet die kalorienreiche Partitur mit souveräner Hand und erweist sich als umsichtiger Begleiter.

Das nutzt unter anderem Maria Celengs Musetta, die sich nach überdrehtem Beginn im letzten Bild von ihrer sensiblen Seite zeigen darf. Ähnlich wie Levente Pálls samtig weich intonierender Colline, der einzig von Matija Meić überboten wird, der mit kräftigem Bariton einen exemplarischen Marcello singt. Hören lassen kann sich diese „Bohème“, selbst wenn die Inszenierung Raum für Diskussionen lässt.

Nächste Vorstellungen

diesen Samstag sowie am 4. und 6. April; Karten: 089/ 21 85 19 60.

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