Etliche Jahre hat Rudolf Buchbinder, seit geraumer Zeit spezialisiert auf Beethoven, Mozart und Brahms, das erste Klavierkonzert von Tschaikowsky nicht mehr gespielt. Mit Valery Gergiev (Foto: Chirkov/ afp) wagt er es noch einmal. Immerhin mit 72 Jahren, einem nicht ganz gewöhnlichen Alter für ein mitunter rasantes Virtuosenstück. Und genau als Zirkusnummer spielt er es eben nicht, sondern mit Stil, aus seiner Wiener Klavierschule heraus. Ohne Handkante, ohne Gewalt, dafür mit Geschmack und klarer Artikulation, transparent und ehrlich. Wann hat man zuletzt wirklich alle Töne in den schnellen Läufen gehört, ihren Sinn erkannt, die Begleitung in der linken Hand als bedeutsam wahrgenommen?
Gergiev kommt ihm da in Tempo und Gestus entgegen. Und dass einzelne Tönchen nicht ganz ins Schwarze oder Weiße treffen, stört überhaupt nicht. Im zweiten Satz steigert sich Buchbinder nochmals, bleibt immer zart, ohne verzärtelt zu sein. In der Atmung, im Zusammenspiel mit den Münchner Philharmonikern, namentlich den beiden Solo-Celli, liegt die Schönheit, nicht in der Pose. Ein Lehrstück von Buchbinder, wie man solche Reißer auch spielen kann.
Ohne Zugabe nimmt er dann selbst in der Philharmonie Platz und hört in Schostakowitschs fünfter Symphonie, wie es klingt, wenn Gergiev eine Partitur inhaliert hat. Fulminant, wie energetisch die Philharmoniker klingen. Gergiev hält aber immer Maß, holt aus dem zweiten Satz die ganze Doppelbödigkeit der Heiterkeit, modelliert Bögen und Steigerungen bis in letzte Details. Kernstück ist der dritte Satz, in dem Gergiev an den unteren dynamischen Rand geht und Klangschichtungen transparent übereinander baut. Dieser Grad der Durchdringung ist ein Erlebnis, wovon sich das Publikum auch bei der anstehenden Europatournee überzeugen kann.