Ein Hort des Expressionismus auf höchstem Niveau, und zugleich ein Museum wie eine Wundertüte: Das ist das Buchheim Museum in Bernried am Starnberger See seit seiner Eröffnung vor 18 Jahren. Heuer präsentiert es sich so lebendig wie nie, wie bei der Vorstellung des Jahresprogramms deutlich wurde. Mit dem ungeheuer intensiven Maler Erwin Pfrang, bekannt geworden in den Neunzigerjahren mit Zeichnungen zum „Ulysses“-Roman von James Joyce, zieht dieses Frühjahr im großen Stil die zeitgenössische Kunst ein. Zeitgleich wird in höchster Konzentration und größter Sinnlichkeit die Essenz der eigenen „Brücke“-Sammlung gezeigt – immerhin mauserte man sich in Verschmelzung mit der Sammlung Gerlinger zum Hauptmuseum des deutschen Expressionismus in Süddeutschland. Bar jeder Ablenkung, frei auch von Wandtexten dürfen hier Heckel, Kirchner, Schmidt-Rottluff leuchten und wirken.
Im April kommt noch eine Sonderschau hinzu, die spielerisch dem Verhältnis von künstlicher Intelligenz und Kunst nachspürt; und mit Skulpturen von Kuno Dümler, der bis 1991 die Metallwerkstatt der Münchner Akademie leitete, soll auf dem Promenadendeck und im Park ein „Paradiesgarten“ wachsen. Ab Mai feiert das Museum den amerikanisch-europäischen Neo-Expressionisten Holmead (1889-1975), dessen „shorthand paintings“, stets binnen weniger Minuten auf die Leinwand gespachtelt, zu den kunsthistorischen Entdeckungen der vergangenen Jahre zählen.
Mit vielen Gemälden aus privaten Sammlungen wird ab November Paula Modersohn-Becker als Pionierin der Moderne präsentiert. Nebenbei klärt schon ab Oktober die Ausstellung „Das Boot“, für die das Haus umfassend recherchieren ließ, wie tief Museumsgründer Lothar-Günther Buchheim in das System der Nazipropaganda verstrickt war. Und zwischen all dem will man auch die allerjüngsten Besucher beglücken – mit Tigerente, Papa Löwe und Co. Ja, wirklich: Die Janosch-Lieblinge lassen ab Juli Leichtigkeit ins Museum einziehen. Irina Probst, die drei Kinofilme und sechs Fernsehserien mit seinen Figuren produziert hat, kuratiert eine sommerliche Familienausstellung, teils auf Höhe der Kinderaugen, samt Mitmach- und Kinoprogramm. Ergänzt wird das Familienfest mit einer Retrospektive, die den Janosch jenseits von Tiger und Bär zeigt.
Demgegenüber ist gewiss schwere Kost, was in Bernried aktuell zu sehen ist – und es ist doch ein sinnliches Erlebnis: Die oft großformatigen Ölgemälde des 1951 in München geborenen, lange in Italien umherziehenden und heute in Berlin lebenden Malers Erwin Pfrang sind menschliche Panoptiken, die keinen Schmerz auslassen. Menschen, Orte, Stimmungen, die ihm im Alltag, beim Blick aus dem Fenster oder auch via Medien begegnen und die ihn oft wohl berühren, komponiert er zu teilweise Wimmelbild-artigen Panoramen voller Leben und voller Grausamkeiten. Wir blicken in Spaßparks und Trauergesellschaften, in Wohnzimmer, städtische Brachen und Säle, die Psychiatrien sein könnten, in die Gesichter von lachenden Kindern und schmerzverzerrten Kranken. Es wimmelt von Elfenwesen und bösen Geistern, von Tieren, Spielzeugen, kuriosen Accessoires. Und mittendrin oft der Maler selbst, auch seine Familie, und immer wieder die „Schläfer“: Obdach-, Arbeits-, Hoffnungslose, denen er in Sizilien oder Rumänien Unterschlupf gab. Wild sind die Szenen, wild auch die Größenverhältnisse: Kleines wird groß, Vordergrund klein, Hintergrund mächtig. Pfrang nennt das „angewandte Relativitätstheorie“, und es entspreche seinem tatsächlichen Empfinden: „Ich glaube nicht an eine Zentralperspektive.“
Museumsdirektor Daniel J. Schreiber bewundert die Offenheit des Malers. Erwin Pfrang sei „extrem ehrlich, vor allem zu sich selber – auch wenn es wehtut“. Es gab schon bemerkenswerte Ausstellungen seiner Werke, 2007 etwa in der Pinakothek der Moderne, auch das New Yorker MoMa hat einen Zyklus von Pfrang erworben. Seine Bilder aus den vergangenen zehn Jahren aber wurden noch nie in einem Museum gezeigt. Das Buchheim Museum hat damit erstmals seinen Sonderausstellungssaal für einen Künstler geöffnet, der in keinem Bezug zur eigenen Sammlung steht. Und es tat gut daran.
Informationen:
„Erwin Pfrang – Gedacht durch meine Augen“ bis 23. Juni,
Katalog (Hirmer): 29,90 Euro;
Telefon 08158/ 99 70 20; weitere Informationen online unter www.buchheimmuseum.de.