Auf einmal läuft alles durcheinander. Was zuerst wie eine Flucht des Budapest Festival Orchestras aussieht, ist eine mitgebrachte Überraschung: Die Musikerinnen und Musiker singen in der Philharmonie den „Abendsegen“ von Antonín Dvořák! Da bekommt der Zusatz „Orchesterbearbeitung“ im Programmheft eine neue Dimension. Dass sie a cappella sauber und klangschön singen, ist bemerkenswert, entscheidender ist aber der Ansatz, so einen Ausbruch aus der Normalität zu wagen.
Genau das war das Ziel des großen, hierzulande leider oft unterschätzten Orchestererziehers Iván Fischer, als er den Klangkörper vor 35 Jahren schuf. Raus aus der Routine, ran ans Publikum. Diese emotionale Unmittelbarkeit und Gemeinschaft ist auch bei den anderen Werken Dvořáks im Programm spürbar.
Sir András Schiff, und das ist ein Reiz an diesem Abend, stellt dazu den größtmöglichen Gegenpol dar. Intelligenz und Berechnung sind die Basis seines Spiels. Keine Extreme, keine Effekte. Wenn mal klanglich gezaubert wird, wie in dem mit durchgedrückten Pedal großartig gestalteten Schluss des zweiten Satzes in Beethovens zweitem Klavierkonzert, dann ist auch das intellektuell durchwebt. Das berührt nicht unmittelbar, packt nicht emotional. Schiff gestaltet das vielmehr als geistige Herausforderung.
Auch im dritten Klavierkonzert zwingt er dazu, mitzudenken und nachzuvollziehen. Das äußert sich allein schon dadurch, dass er keine Pausen zwischen den Sätzen lässt. Wenn man da in der Konzentration mitgeht, kann man sehr tief in die Musik eintauchen. Heutzutage, in der Zeit von Klassik „zum Entspannen und Genießen“, ist diese Herangehensweise vollkommen anachronistisch – und genau deshalb so großartig und wertvoll. Wenn man so will, ist der intellektuelle Schiff im eleganten Dreiteiler und mit Uhrenkette ein echter Radikaler der Klassik.