Katzenvideos im Designmuseum! Ist denn das, was in der Krusch- und Kuschelecke des Internets in Massen angeboten wird, würdig, in die Neue Sammlung einzuziehen? Jedenfalls begab sich das ehrwürdige Haus unter Chefin Angelika Nollert und Kuratorin Xenia Riemann-Tyroller fast ganz in die Hände des Designtheoretikers und Architekten Friedrich von Borries (Jahrgang 1974). Der stellt unter dem englischen Schwafel-Titel „Politics of Design, Design of Politics“ (so schreckt man Besucher ab) das Prinzip Designmuseum an sich infrage.
Das wird jedem Besucher der Pinakothek der Moderne sofort klar, der die Treppe zur Neuen Sammlung hinuntersteigt. Vor der Wand mit dem Giganto-Regal, in dem Exponate prangen, ließ von Borries eine zweite, teils durchbrochene Wand aufstellen. Schwarz und Weiß gehören zum Leitsystem sowie Textsignale: „Design“ im Kleinformat, und groß läuft dann auf dem jeweiligen Plakat nach unten zum Beispiel „mobilisiert“, „manipuliert“ oder „kritisiert“. An der Basis der Wand finden sich passende Texte.
Die Wand fungiert als Inhaltsverzeichnis. Wenn der Besucher die Dauerausstellung betritt, findet er mit zwölf „Interventionen“, also mit Eingriffen in die vorhandene Präsentation, die entsprechenden Kapitel. Und schließlich auch die Katzen, gestaltete Gegenstände von Nicht-Designern, die sich beworben hatten, und Friedrich von Borries’ eigenes Kunstwerk. Im Saal mit den Paternoster-Regalen lässt er einerseits noch in Noppenfolie verpackte Möbel auf und ab fahren – fiktive Schenkungen ans Museum. Und andererseits große Kästen, die in schöner Sinnlosigkeit mit einem Plong einen Ball fallen lassen und auffangen. Diese minimalistische Arbeit entspannt die Sehnerven der Betrachter und verbindet die Designschau mit der Sammlung Moderne Kunst zwei Stockwerke darüber.
Zu dieser Kombination aus edler Einfalt und schlitzohriger Komik passen die Katzenvideos – zumal die Viecher in feinstem Akademiker-Sprech die Designtheorie erläutern. Von Borries ironisiert sich und seine Zunft damit wohltuend. Deswegen ist ihm auch das „Basiscamp für Demokratie“ wichtig, eine Werkstatt-Reihe für jeden sowie für Profis, um an Ideen zu tüfteln. Dass der Theoretiker außerdem handfester Lehrer mit Sendungsbewusstsein ist, beweist die durchdachte Führung. Sie funktioniert auch deshalb so gut, weil Ingo Offermanns dafür ein kluges und knackiges Grafikdesign entwickelt hat. Da ist es schon unfair, dass er nirgends erwähnt wird.
Bei den einzelnen Kapiteln arbeitet Friedrich von Borries mit kulturellem Zusatzwissen. Der Rundgang durch die Neue Sammlung beginnt ja bei den Autos und Motorrädern. „Design mobilisiert“ postuliert der Theoretiker. Ihn reizt kein heißer Ofen, sondern der gute alte Käfer. Den bringt er durch eine an die NS-Zeit erinnernde Fahne mit der „Kraft durch Freude“-Tradition in Verbindung. Wie der Volkswagen zur Design-Ikone geworden ist, so Thonet mit seinen Sitzgelegenheiten. Hier greift: „Design diszipliniert.“ Am liebsten hätte er die gesamte Kollektion ausgeräumt, erzählt von Borries. Aber Nollert bremste. Schließlich jährt sich die Gründung der Bugholzfirma im kommenden Jahr zum 200. Mal. Nun hat Thonet den scheinbar subversiven Theoretiker sanft vereinnahmt, indem man seinen Entwurf einer – zu putzigen – Stuhlrutsche realisiert hat. Dem Design kann halt niemand entkommen.
Bis 29. September 2019,
Di.-So. 10-18 Uhr; Begleitbuch, Koenig Books: 20 Euro.