Boten einer entschwundenen Epoche

von Redaktion

Büchner-Preisträger Jan Wagner legt heute seinen Lyrikband „Die Live Butterfly Show“ vor

Von Alexander Altmann

Das wurde aber auch wirklich Zeit! Dass bisher nämlich noch kein hochkarätiger Dichter die kurze Lederhosn besungen hatte, musste zumal den bayerischen Lyrik-Liebhaber merklich schmerzen. Doch jetzt ist diese unschöne Lücke endlich geschlossen – von keinem Geringeren als dem Büchner-Preisträger Jan Wagner, dem wahrscheinlich profiliertesten deutschen Lyriker unserer Tage. In einem Gedicht mit dem lapidaren Titel „lederhose“ beschwört er „diese wie gewachste/ partie am hintern“ und empfindet das vom Opa ererbte Kleidungsstück insgesamt als „so kolossal, daß füchse oder dachse/drin siedeln könnten, eine höhle“.

Dieser Text, ein Sonett ohne Reime, findet sich in Wagners neuem Gedichtband „Die Live Butterfly Show“, und Sonette, auch gereimte, gibt es darin viele. Denn das gekonnte, zwischen Ernst und Scherz changierende Spiel mit klassischen Formen, der virtuose Umgang mit Rhythmus und Klang, die so charakteristisch für diesen Dichter sind, kommen auch in seinem jüngsten Werk zur schönsten Blüte.

Apropos: Flora und Fauna gehören einmal mehr zu Wagners bevorzugten Sujets, er dichtet Oden auf Kohl oder Klatschmohn, auf Krähen („gegenschwäne“) im Englischen Garten, aber auch auf Marder, die im Blutdurst Taube um Taube „entkorken“, um die Opfer auszusaugen.

Erstaunlich viele Gedichte sind diesmal jedoch Erinnerungen an Verstorbene, an Gestalten aus der Kindheit, die wie Boten einer entschwundenen Epoche noch aus dem Gedächtnis in unsere Gegenwart herüberscheinen: der dicke Onkel mit den Hosenträgern, die Tante von der „moosbewachsenen/ seite des familienstammbaums“ – Figuren, die letztlich in jeder Familie vorzukommen scheinen. Nicht weniger anrührend, gerade wegen des sanften Hauchs von Ironie, der sie durchweht, ist die melancholisch-liebevolle „Elegie auf einen Lateinlehrer“, der „die vokabeltests wie gültige visa/ verteilte für jenen unerreichbaren raum,/ der nur von seneca, catull und taci-/tus zehrte“. Wobei es wohl die unvermeidliche Rache des Schülers ist, dass der arme Tacitus hier durch den Trennungsstrich in zwei Zeilen zerrissen wird – was sich freilich nicht gegen den altrömischen Geschichtsschreiber selbst richtet, sondern gegen die Institution, denn hier zerfetzt Wagner quasi „in effigie“ die Repression alles Regelhaften, für das die Schule steht.

Wie viel Witz überhaupt in Wagners Texten steckt, wird oft nur beim genauen Hinsehen – oder Hinlauschen – deutlich. Ganz offensichtlich ist der schalkhafte Impetus allerdings in dem Gedicht „lob des kamels“, das sich, dem Sujet entsprechend, als Ghasel gebärdet – jene orientalische Gedichtform, bei der jeder zweite Vers den gleichen Reim hat, weshalb hier eben „Kamel“ mit „Holzpaneel“, „Raffael“ oder „parallel“ gereimt wird. Pumuckl lässt grüßen.

Ein ungeheueres Lesevergnügen ist Wagners „Live Butterfly Show“ aber auch deshalb wieder, weil in dieser Lyrik die Alltäglichkeiten scheinbar leicht wie Schmetterlinge vorüber gaukeln, indes sie ganz beiläufig ihren archetypischen Gehalt offenbaren. Da gibt es etwa ein Gedicht über die erfolglose Bemühung, einen Baumstumpf auszugraben, bei der Hacke, Axt und Spaten zu Bruch gehen und der Garten in einen Acker verwandelt wird. Aber dieses von außen betrachtet fast Slapstick-taugliche Kleingärtner-Abenteuer erscheint gleichzeitig als Parabel der Vergeblichkeit. Das existenzielle Pathos, das darin anklingt, wird sowohl zugelassen, als auch durch die listig-lustvolle Komik von Binnenreim und Klang gebrochen, was den Text in einer wunderbar flirrenden Schwebe hält zwischen echter Bedeutsamkeit und luzider Distanz.

Jan Wagner:

„Die Live Butterfly Show“. Gedichte. Hanser Berlin Verlag, 100 Seiten; 18 Euro.

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