Premierenkritik

Jagd auf sich selbst

von Redaktion

Dušan David Pařízek adaptierte für die Salzburger Festspiele David Grossmans Roman „Kommt ein Pferd in die Bar“

Die Bretter, die die Welt bedeuten, sind aus heller Fichte und stehen senkrecht auf der Bühne, frontal zum Publikum. Das mächtige Holzquadrat wirkt wie eine Zielscheibe, davor Dov Grinstein, „ohne kugelsichere Weste, völlig schutzlos“, wie er sagt.

Dieser Mann ist Opfer und Täter zugleich. Die nächsten Stunden wird er Jagd machen – vor allem auf sich selbst. Später, als er das Trauma seines Lebens schildert, wird die Wand hinter ihm mit Getöse umstürzen: Fortan erinnert das beleuchtete Viereck an einen Boxring. In diesem Geviert tritt Grinstein gegen sich an – und kommentiert zugleich den Kampf, der zwar schmerzhaft ist, der jedoch keinen Sieger kennen kann.

Die Schuld, die er glaubt, auf sich geladen zu haben, liegt lange zurück: Als 14-Jähriger wurde er aus einem Jugendlager nach Hause zu einer Beerdigung gerufen; er wusste allerdings nicht, wer gestorben ist. Auf der stundenlangen Fahrt steigerte er sich in den Wahn, durch sein Nachdenken darüber, ob der Vater oder die Mutter tot ist, diese Entscheidung beeinflussen zu können. Ein Dilemma, das der Junge kaum auszuhalten vermochte.

Es ist eine schlichte, doch beeindruckend treffende Bühne, die sich Dušan David Pařízek ins Republic, Salzburgs einstigem Stadtkino, gebaut hat. Wo sich bis 2014 der Regienachwuchs beim „Young Directors Project“ dem Festspielpublikum vorstellen konnte, hat der tschechische Theatermacher nun seine Bühnenfassung von David Grossmans Roman „Kommt ein Pferd in die Bar“ inszeniert. Am Mittwoch war Premiere dieses fordernden, schauspielerisch großartigen Abends (zweidreiviertel Stunden, keine Pause).

Mit Dov Grinstein hat David Grossman eine Zumutung geschaffen: fürs Publikum des Stand-up-Komikers, vor allem aber für „Dovele“ selbst. Vor vier Jahren ist das Buch des israelischen Schriftstellers auf Hebräisch erschienen, seit 2016 gibt es eine deutsche Ausgabe. Grossman erzählt von einem Auftritt Grinsteins in Netanja; es ist eine Vorstellung, die dem Alleinunterhalter mehr und mehr entgleitet. Statt die Erwartungen seines Publikums zu erfüllen, setzt er zum großen Rundumschlag an. Seine Witze sind niveaulos, sexistisch, rassistisch; er trampelt auf der Erinnerung an die Opfer der Schoah ebenso herum, wie er Israels aktuelle Politik bloßstellt. Doch hinter der Abrechnung mit seinen traumatisierten Eltern, die als jeweils Einzige ihrer Familien den Judenmord überlebten, und einer verunsicherten Gesellschaft zwischen arabischem Terror und israelischer Besatzung zeigt Grossman einen Menschen, der mit sich und seinem Dasein hadert. Dov Grinstein muss sich seine Lebensbeichte von der Seele reden – auch wenn die meisten Zuschauer den Saal in Netanja entsetzt oder schimpfend verlassen.

Im Republic gehen ebenfalls einige Premierengäste vorzeitig. Pařízeks Inszenierung ist eine Herausforderung; eine Arbeit, die nach Grenzen sucht. „Kommt ein Pferd in die Bar“ ist vor allem aber der Abend des Samuel Finzi. Es ist herausragend, eine schier unglaubliche Leistung an Kondition und Konzentration, wie dieser Schauspieler seine Figur über beinahe drei Stunden hinweg formt. Ob als arroganter Publikumshasser oder abgehalfterter Künstler am Ende seiner Karriere, ob als gnadenloser Zyniker oder tief Traumatisierter – Finzi zeigt eine Tour de Force durch Grinsteins seelische Abgründe. Auf der linken Bühnenseite stehen zwei fahrbare Kleiderstangen, daran hängen zig Exemplare von Doveles Anzug. Es ist, als würde jeder einzelne eine andere Facette dieses Kerls symbolisieren. Finzi fächert viele davon auf.

Obwohl er mitunter zu leise, schnell und undeutlich spricht, kann er doch die Spannung lange hochhalten. Das ist eine enorme Leistung, zumal Pařízeks Dramatisierung einen entscheidenden Nachteil gegenüber dem Roman hat. Grossman lässt den missglückten Comedy-Abend von Avishai Lazar schildern: Der pensionierte Richter ist ein ehemaliger Freund Doveles aus Kindertagen und wurde von diesem eingeladen, sich die Show anzusehen. Als Erzähler ordnet Lazar das Bühnengeschehen und die Reaktionen der Menschen im Saal ein, er reflektiert zudem sein eigenes Verhalten, die eigene Schuld gegenüber dem Kumpel von einst. Das bringt eine zusätzliche, tiefere Ebene in die Geschichte und hilft dem Leser auch über jene Passagen, in denen Grinstein mit schlechten Scherzchen nervt.

In der Salzburger Inszenierung fehlt diese Figur. Zwar hat Pařízek die Rolle der Pitz aufgewertet. Mavie Hörbiger spielt diese weitere Jugendfreundin des Komikers mit keckem Selbstbewusstsein, in der Aktion mit Finzi entstehen dabei anrührende Momente. Doch kann, will und darf Pitz nicht die dramaturgische Funktion des Richters einnehmen. Während wir also im Roman von der Beleidigung und Missachtung des Publikums lesen, sind wir im Republic die Zuschauer und damit Doveles (Selbst-)Hass, Selbstentblößung und Selbstkasteiung viel unmittelbarer ausgesetzt. Den Blick auf einen anderen Menschen auszuhalten, ist anstrengend. Und dennoch lohnt er sich. Langer, heftiger Applaus.

Weitere Vorstellungen

heute sowie am 12., 14., 15., 18., 21. und 23. August; Telefon 0043/ 662/ 8045 500. Premiere am Wiener Burgtheater ist am 5. September.

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