Die antike Demokratie ist kein Vorbild

von Redaktion

Der Audio Verlag ehrt Egon Friedell, der 1938 beim Anschluss Österreichs den Freitod suchte, mit der Neuauflage der gelesenen Werke

Von Hildegard Lorenz

Zum 140. Geburts- und zum 80. Todesjahr ehrt der Audio-Verlag den Wiener Journalisten und Kulturphilosophen Egon Friedell (1878-1938) mit einer Neuauflage der Lesung seiner Werke durch den großen Schauspieler Achim Höppner (1946-2006). Friedell war einer der letzten Universalgelehrten des alten Europa. Als die Gestapo ihn nach der Annexion Österreichs durch Hitlerdeutschland verhaften wollte, sprang der Schriftsteller aus dem Fenster, um sich das Leben zu nehmen. Bis unmittelbar vor seinem Tod hatte er an einer „Kulturgeschichte des Altertums“ gearbeitet, die seiner „Kulturgeschichte der Neuzeit“ (ebenfalls beim Audio-Verlag als neunstündige gekürzte Lesung von Achim Höppner erhältlich) folgen sollte, aber er konnte sie nicht mehr vollenden. Davon blieb als letztes Kapitel nach der „Kulturgeschichte Ägyptens und des alten Orients“ das Manuskript der „Kulturgeschichte Griechenlands“ erhalten.

Höppner liest Friedells „Kulturgeschichte Griechenlands“ mit konzentrierter Präzision. Der Hörer erfährt vieles über die großen historischen Persönlichkeiten wie Perikles, Nikias, Sokrates und Alkibiades, aber er hört auch manches, was entweder gar nicht oder auch nicht so deutlich in den Geschichtsbüchern steht und was, wenn man Glück hatte, vielleicht ein einziges Mal im Griechischunterricht am Rande erwähnt wurde.

Man wird zum Beispiel mit dem merkwürdigen Brauch des Kultursponsorings durch Wohlhabende konfrontiert. Stets musste der reichste Athener die Dionysos-Festspiele mit Theateraufführungen finanzieren. Leugnete der Mann, der reichste Bürger zu sein, so musste er einen noch Reicheren benennen. Gestand der Zweite zu, der Reichere zu sein, musste er anstelle des Ersten zahlen. Doch falls der Zweite ebenfalls leugnete und seinerseits den Ersten zum Reichsten erklärte, so musste der Erste mit dem Zweiten Haus, Grundbesitz, Vieh und alle bewegliche Habe inklusive Sklaven, Schatztruhe und dem Schmuck der Hausfrau tauschen, damit der Erste die Spiele vom Geld des Zweiten ausrichten konnte. Hatte der Erste die Wahrheit gesagt, hatte er bei der Transaktion gewonnen, hatte er gelogen, so war er durch doppelten Verlust gestraft.

Man erfährt aber auch die drei Grundsätze der attischen Demokratie, die auf der Isonomie – Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz –, Isotimie – dem gleichen Anrecht aller Bürger auf die öffentlichen Ämter und Ehrenstellen, was zur Ämterverlosung führte – und der Isogorie – dem gleichen Rederecht aller Bürger in den Versammlungen und im Volksgericht – beruhte. Bürger war übrigens nur, wer als Sohn aus einer rechtlich geschlossenen Ehe eines Atheners und einer Athenerin hervorgegangen war. Kinder von Athenern und „Metoikinnen“ (Griechinnen, aber Nicht-Athenerinnen!) oder gar Sklavinnen erhielten das Bürgerrecht nur bei besonderen Verdiensten, also selten. Feigen (Deserteuren oder in der Schlacht Geflohenen), Faulen oder Bankrotteuren konnte das Bürgerrecht ebenso entzogen werden wie Bürgern, die in einer Volksversammlung einen Entschluss zu kippen drohten. Das entlarvt die viel gepriesene attische Demokratie als eine wenig tolerante Oligarchie der gerade herrschenden Partei – abhängig vom Geschick der Redner und von Augenblicksstimmungen. Diese Demokratie wusste weder etwas von Menschenrechten noch von der Gleichberechtigung der Frau. Wer auf die Vorbildfunktion der attischen Demokratie pocht, sollte sich Friedells großartiges Werk vorlesen lassen.

Egon Friedell:

„Kulturgeschichte Griechenlands“. Gelesen von Achim Höppner (Der Audio Verlag).

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