Die Anfahrt zum Immling Festival führt durch den lieblichen Chiemgau mit seinen grünblauen Seen und sanften Hügeln, hinter denen die Alpen schroff aufragen. In Shuttlebussen geht es hinauf zum malerischen Gutshaus, das neben grandioser Aussicht über Streichelzoo, Kunstzelt, Weinstadel und eine aufwendig opernfit gemachte Halle verfügt, in die Kuhglocken zum Vorstellungsbeginn läuten. Kurzum: Alles wunderschön und etwas krachledern.
Dieses Ambiente ist eine Steilvorlage für die Repertoirewahl: Carl Maria von Webers 1810 komponierte Oper „Der Freischütz“. Das Werk gilt nicht nur als erste romantische, sondern auch als erste deutsche Oper. Und hier liegt ein Problem der Immlinger Produktion. Genauer der Inszenierung von Verena von Kerssenbrock, welche im Schulterschluss mit dem naturalistischen Bühnenbild von Nikolaus Hipp und den rustikalen Kostümen von Sanna Dembowski die Inhalte des Librettos Eins zu Eins auf die Bühne bringt.
In Morgentau-Stimmung dirigiert der zackige Evan Alexis Christ, der kurzfristig die musikalische Leitung von der erkrankten Cornelia von Kerssenbrock übernommen hat, die überzeugenden Münchner Symphonikern die romantische Ouvertüre in der durchaus beachtlichen Akustik der Halle. Ein weißer und ein schwarzer Dämon ringen tanzend und holzschnittartig um Gut und Böse, bevor sich der Jägerchor polternd Einlass verschafft. Düstere Pappbäume begrenzen die Waldlichtung, in deren Mitte eine große Zielscheibe thront. Sie lenkt wie ein Wink mit einem riesigen Zaunpfahl die Aufmerksamkeit auf den zentralen Fokus, den Probeschuss, mit dem Max (Johan Weigel) nach altem Brauch zielsicher um die Hand von Agathe (Katja Bördner) anhalten muss. Allein, ihn plagen Ängste oder, aus aktuellem Anlass, die (Tor-)Schusspanik, die sich auch in seinem etwas gedrückten Tenor manifestiert. Da kommt ihm das unmoralische Angebot seines Jägerburschen Kaspar gerade recht, den Kosma Ranuer mit beachtlichen Bass und einer klaffenden Stirnwunde gibt. So merkt auch jeder, dass er ein Bösewicht ist und im Bund mit dem teuflischen Samiel (Stimme: Sheldon Baxter) steht, der mit seinem schwarzledernen Umhang und Stahlhelm an die Totenkopf-SS erinnert. Apropos Totenkopf: Das grausigen Ritual in der Wolfsschlucht, in dem Kaspar und Max satanisch-treffsichere Freikugeln gießen, ist mit allerlei Gerippen bevölkert und erinnert an Geisterbahnen auf dem Oktoberfest, wo Schilder verkünden: „Lebende Geister eingetroffen!“
Das kann als allgemeine Beschreibungsformel für die Inszenierung gelten, die Geister und Mythen aus der Vergangenheit beschwört. Man muss in dieser durchaus ambitionierten, groß angelegt und professionell umgesetzten Produktion keine Verfremdungseffekte oder avantgardistische Abstraktionen erwarten – aber es ist doch zumindest bedenklich, in Hörweite der problematischen Gegenwart inmitten ländlicher bayerischer Idylle eine ungebrochen deutschtümelnde Biedermeierzauberwelt zu beschwören. Gerade in der nationalen Anlage von Webers romantischer Oper böte sich für eine zeitgemäße Inszenierung ein ganzes Arsenal kritischer Einhakpunkte: angefangen bei den naturalistischen Gewehren, mit denen die Massenszene des Jägerchors wie ein Aufzug des örtlichen Schützenvereins wirkt, bis zur messianischen Gestalt des Eremiten, der den Probeschusses abschafft und damit pazifistisches Potenzial besitzt.
Stimmstark wird er von Kai Wegner in Sandalen intoniert, der gemeinsam mit Modestas Sedlevičius als Fürst Ottokar einen sängerischen Höhepunkt setzt. Überhaupt sind die durchweg guten Sänger nicht das Problem dieser Aufführung, eher schon die hölzern wirkenden Sprechpassagen, bei denen immerhin Josefin Feiler als Agathes Freundin Ännchen ihr komödiantisches Talent beweist.
Nächste Vorstellungen
am 20., 27., 29.7., 5., 10.8.; Karten: 08055 / 90 34-0.