Die Dämonen kommen

von Redaktion

Bei den Opernfestspielen wurde Nikolaus Brass’ Werk „Die Vorübergehenden“ uraufgeführt

von markus Thiel

Wer kann da schon widerstehen? Eine gereichte Hand, ein aufmunterndes Nicken, manchmal verbunden mit einer wortlosen Vokalise, und schon lustwandelt man durch die Münchner Reithalle. An der Seite von so charmanten Solisten wie Nikolay Borchev und Sarah Maria Sun – und auf Irgendwowiedersehen, jedenfalls nicht, so ist die Aktion gedacht, zurück an den ursprünglichen Platz.

Mitmachtheater geht immer. Und ist auch gar nicht schlimm, wenn der Zuschauer wie in diesem Fall nicht als Pointenobjekt missbraucht wird. „Die Vorübergehenden“, der Stücktitel, wird also zum Ereignis, hautnah und im Eigenbau des Publikums. Vor allem aber kommt die Aktion an der richtigen Stelle, weil sie den Abend aufbricht – und den Adrenalinpegel aus dem Wachtraum nach oben treibt.

Es ist die zweite Uraufführung in dieser so besonderen „Werkstatt“-Reihe der München Opernfestspiele. Und längst war hier ein Heimspiel-Opus von Nikolaus Brass fällig. Sein pausenloser 100-Minüter basiert nur auf einer Idee: Was passiert wohl, wenn ein innerlich Entwurzelter mit den Fehlern seiner Vergangenheit konfrontiert wird? Mit all jenen Menschen, von der Geliebten bis zum Flüchtling, denen er die Empathie versagte? Brass kombinierte dazu Texte von Tomas Tranströmer, Literatur-Nobelpreisträger von 2011, mit Worten von Rose Ausländer und Mahmoud Darwisch.

Die Dämonen des „Liebenden“, so heißt die Hauptfigur, lässt Brass nicht schleichend ins Bewusstsein dringen. Sein Held wird zur Zielscheibe seiner Gedanken und Erinnerungen – ein Krieg gegen sich selbst, der sich in überbordender Klangsprache äußert. Im Raum verteilt sind die Schallquellen, das Vokalensemble, die Mitglieder des Staatsorchesters und die Solisten. Dazwischen sitzen die Zuschauer auf Hockern und an Stellen ihrer Wahl. Ein Rundum-Erlebnis, sehr direkt, massiv und auch überfordernd.

So penibel Brass seine Partitur konstruierte, so genau er Instrumente kombinierte, dabei Situationen und Worte mit Energie auflädt: Das Dauerfeuer steht den „Vorübergehenden“ auch im Weg. Was man oft vermisst, ist die Fallhöhe, eine Rhythmisierung von Gefühlszuständen. Sehr ausgestellt wirkt manchmal diese Obsessivität, die ins Diffuse driftet.

Regisseur Ludger Engels und Ausstatter Ric Schachtebeck tun ihr Möglichstes, das alles zu entknäulen. Weit auseinandergezogen ist die Szenerie, aufgelöst in Spielinseln um ein zentrales Bett. Überall mufft es nach dem Nierentisch-Charme der Fünfzigerjahre bis hin zur Betonfrisur der Mutter und der Heinz-Ehrhardt-Brille des Vaters.

Countertenor Vasily Khoroshev spukt als mephistophelischer „Schatten“ durchs Stück, was ihm, in all der stimmlichen Grellheit, gut gefällt. Nikolay Borchev bildet in seiner vokalen Weichheit und Wärme den größtmöglichen Gegensatz. Auch Sarah  Maria Sun als Liebende, Ilker Arcayürek als Flüchtling, Wolfgang Newerla (Vater), Ulrike Helzel (Mutter) und Joshua Owen Mills (Liebender als junger Mann) machen ihre Figuren sehr plastisch. Nicht einfach ist das: Wer sich in diesem Psycho-Mahlstrom begibt, droht unterzugehen.

Weitere Aufführungen:

heute sowie 21. Juli;

Telefon 089/ 2185-1920.

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