Im Rhythmus des Schreckens

von Redaktion

Ein Höhepunkt nicht nur dieser Münchener Musiktheater-Biennale: „Alles klar“ von Ondřej Adámek im Marstall

Von Markus Thiel

„Bin gesund“, so heißt es auf der Karte an den geliebten Sohn. Verbunden mit einem Dank fürs Paket, „besonders erfreuten Fertigesswaren“. 9. Januar 1944, Absende-Ort Birkenau. Drei Monate später eine Bekräftigung: „Alles in bester Ordnung“. Hier die vorgespielte, weil überwachte Sorglosigkeit, dort die Realität – ein niederdrückendes, verzweifelt um adäquaten Ausdruck bemühtes Musiktheater hätte daraus werden können. Es gibt dafür genügend Beispiele, und alle sind sie wichtig, notwendig, obgleich sie am Abbild der Wirklichkeit scheitern müssen.

Wie es wohl wäre, ein, zwei Schritte zurückzutreten? Alle diese Zeugnisse aus der Draufsicht zu betrachten und sie zugleich Material sein zu lassen für im mehrfachen Sinne Unerhörtes? Vielleicht können sich das Menschen erlauben wie Ondřej Adámek. Viele jüdische Familienmitglieder des Tschechen wurden in der braunen Zeit ermordet. Der 39-Jährige hütet einen schriftlichen Nachlass und hat ihn nun kombiniert mit Archivmaterial aus dem Jüdischen Museum Prag. „Alles klar“, eine 75-minütige Kammeroper, uraufgeführt als Koproduktion mit dem Residenztheater im Marstall, ist das Ergebnis dieser Auseinandersetzung – und es ragt turmhoch aus vielen Belanglosigkeiten der Münchener Biennale heraus.

Weil Nazi-Schocker immer funktionieren, wie mancher nun einwenden mag? Viel mehr: Die Aufspaltung von Worten in sich wiederholende Silben, die Verteilung auf mehrere Akteure, das Überführen dieses Prinzips in fesselnde Rhythmik, das Einbeziehen von (Atem-)Geräuschen, die stufenlosen Übergänge vom Deklamieren zum Gesang, sogar das Verdichten zu Lamento-Szenen, das alles ist nicht neu. Doch was Adámek daraus macht, wie virtuos, klug, fantasiereich und kompositorisch sattelfest er mit diesen Stilmitteln umgeht, sie zu einem schlüssigen Ganzen macht, das besticht.

Die Dogmen der Avantgarde haben Adámek noch nie interessiert. Ohne Vorbehalte blickt er zurück etwa auf Soghaftes à la Carl Orff. Adámek, das zeigt diese Uraufführung, ist ein Integrierer, keiner, der sich krampfhaft absetzen will. Seine Kunst entwickelt sich stark aus dem Körperlichen, ist nicht nur Intellekt-Ereignis. Auch deshalb geht einem „Alles klappt“ so nahe. Es sind bekannte, nachvollziehbare Elemente, die, neu gehört und erlebt, gerichtete Assoziationsräume eröffnen. Die dunkle Zeit, die Adámek heraufbeschwört, schwingt und klingt mit – ohne alles zu benennen und auszuführen, was die Dinge sofort klein machen würde.

Außerdem, das ist nicht selbstverständlich, entgehen Adámeks Wort-Zersplitterungen allen Fettnäpfchen ungewollter Komik. Katharina Schmitt, die auch das Libretto besorgte, hat mit Ausstatterin Patricia Talacko eine offene Szenerie arrangiert. Probensituation, Archiv mit fahrbaren Kisten, konzertante Aufführung – alles mischt sich und übersetzt die Partitur sehr konsequent. Adámek dirigiert die zwei Perkussionisten und die sechs Sänger von der Seite aus. Was Letztere leisten, wie sie die kniffligen Rhythmen bewältigen, bei denen in jedem Takt mindestens ein Fallstrick lauert, das ist atemberaubend. Ein Höhepunkt nicht nur dieser Biennale.

Informationen

zum Programm

unter www.muenchenerbiennale.de.

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