Musica viva,
Herkulessaal
Ein Spektrum steht für Vielfalt. Das gilt auch für Gérard Griseys spektrale Musik, die im Fokus des Musica-viva-Wochenendes stand. Im Konzert mit dem BR-Symphonieorchester unter Stefan Asbury im Herkulessaal war es sein abendfüllendes Werk „Les Espaces acoustiques“ (1974-85): Hier wird nicht nur der Klangfarbenkasten, sondern auch die ganze Besetzungspalette ausgeschöpft.
Im „Prologue“ beginnt Benedict Hames an der Solo-Viola sein wunderbar dramaturgisch gestaltetes Spiel, bevor er sich in „Périodes“ ins kammermusikalische Kollektiv einordnet. „Partiels“ changiert zwischen bedrohlichen Bässen und flirrenden Obertönen. Der Abgang zur Pause ist szenisch gestaltet: Die Streicher packen Noten zusammen, während vom Schlagzeuger ein Beckenschlag im Fortissimo vorbereitet wird – der nie eintritt.
Das Spiel mit der Erwartung kostet Asbury auch vor der zweiten Hälfte aus, indem er lange wartet, bevor eine Klingel das Startzeichen gibt. In „Modulations“ oszillieren Klangfarben in einer Wellenbewegung. In den „Transitoires“ schließlich setzen die Musiker zum Ziellauf an: Im „Épilogue“ bringen vier Solo-Hörner mit ihren zunehmend beschleunigten Fanfaren den Raum zum Dröhnen.
„Les Espaces acoustiques“ lebt von Kontrasten zwischen groß und klein, filigran und brachial. Ein solches Stück braucht dringender als andere einen Dirigenten – Asbury schöpft die Vielfalt der Musik nicht nur aus, sondern leitet den Klangprozess mit Blick fürs Ganze. Der Brite versteht es, einen Klangorganismus zu formen, der zu atmen scheint. anna schürmer