Er war FBI-Agent in Alan Parkers „Mississippi Burning“ und Jesus von Nazareth in Martin Scorseses „Die letzte Versuchung Christi“. Er spielte unter der Regie von Lars von Trier in „Antichrist“, „Manderlay“ und „Nymphomaniac“ oder unter David Lynch in „Wild at Heart“. Unvergessen ist Willem Dafoe als Soldat Elias Grodin in Oliver Stones Antikriegsdrama „Platoon“, nicht nur der pathetischen Sterbeszene wegen. Oder als Bösewicht in „Spiderman“. Oder in „Shadow of the Vampire“ als Schauspieler Max Schreck, der für F.W. Murnau den Nosferatu gab. Oder, oder, oder…
Es sei geradezu ein Drang von ihm, sich zu vergessen und sich komplett in seine Rollen hineinzubegeben, fasst Dafoe seine bis heute nicht nachlassende Motivation zusammen. Während der Berlinale erhielt er im Februar den Ehrenbären für sein Lebenswerk. Munter plauderte der 62-Jährige da unter anderem übers Älterwerden und über die große Vielfalt an Rollen und Projekten, die ihm jetzt zur Verfügung stehe.
Bei kaum einem seiner Kollegen dürfte die Spannbreite zwischen den Helden und den Fieslingen so weit auseinander liegen wie bei ihm. In über 100 Spielfilmen hat Dafoe seit seinem Karrierebeginn in den Siebzigern mitgewirkt, darunter alles von der gigantischen Blockbuster-Produktion über den kleinen Independent-Film bis zum Kunstprojekt. Dabei begann seine Leinwand-Laufbahn mit einem der größten Flops der Kinogeschichte. Doch selbst die Häme um Michael Ciminos Western „Heaven’s Gate“ konnte Dafoe keinen Schaden zufügen.
Er habe sich nie einem Genre oder einer Kultur gegenüber verschlossen in seiner Karriere und „die unterschiedlichsten Rollen angenommen“, erinnert sich der Star. „Das waren Samen, die ich damals gesät hatte. Die Früchte jetzt zu ernten, macht mir große Freude.“ Parallel zur Kinolaufbahn war und ist Dafoe bis heute häufig auf der Bühne zu sehen. Jahrzehntelang war er Mitglied der legendären New Yorker „Wooster Group“. 2012 stand er in Madrid zusammen mit der serbischen Performance-Künstlerin Marina Abramovic auf der Bühne. An Fernsehen war er dagegen noch nie interessiert. Theater oder Kino biete eine besondere Kraft, die das Fernsehen nahezu niemals einlösen könne, erklärt er dazu. „Ein Geheimnis oder eine besondere Poesie können TV-Produktionen einfach nicht erzeugen.“
Welche Ausnahme Dafoe unter den amtierenden Weltklasse-Schauspielern darstellt, zeigt sich allein daran, dass er nach wie vor uneitel genug ist, mit der zweiten Reihe vorlieb zu nehmen. Das verwundert einerseits, wenn man sich Dafoes über die Jahre immer markanter und markiger gewordenes, wie in Stein gemeißeltes Gesicht ansieht. Einen Kerl mit einer solchen Visage vergisst man nicht, sollte man annehmen. Ganz egal, ob er gerade den Bobby Peru oder den Green Goblin verkörperte. Doch Dafoe gelingt es immer wieder aufs Neue, vollkommen mit seiner jeweiligen Rolle zu verschmelzen. Das brachte ihm bisher drei Oscar-Nominierungen als Bester Nebendarsteller ein. Auch für sein aktuelles Kino-Opus „Das Florida-Projekt“, das er für „einen wirklich ganz besonderen Film“ hält.
Der Oscar ging vergangene Woche dann zwar an Sam Rockwell und wieder einmal nicht an Dafoe. Doch der nahm’s gelassen. Tatsächlich ließ er sich nämlich ganz bewusst von einem Mädchen und einem Haufen Laiendarsteller an die Wand spielen. Beinahe zumindest. „Ich genieße es, Teil einer Geschichte zu sein, die der Regisseur erzählen will“, sagt Dafoe. „Ich bin eine Farbe in einem Gemälde.“
In bunten Pastellfarben erzählt Regisseur Sean Baker („Tangerine L.A.“) in „The Florida Project“ eine Geschichte voller Licht und Schatten. Im Mittelpunkt steht ein Mädchen, das in einem Motel in der Nähe von Disneyland lebt und mit ihren Freunden jede Menge Unsinn anstellt. Den Rest der Zeit verbringen Moonee (Brooklynn Prince) und ihre erst 22-jährige Mutter Halley (Bria Vinaite) damit, die täglich fälligen 38 Dollar Miete für das Zimmer zusammenzuschnorren. Bobby Hicks (Dafoe), der für Mutter und Tochter als Ersatzvater fungiert, ist der Besitzer des abgewirtschafteten Motels und als solcher eine der wenigen Konstanten im Leben von Moonee und Halley.
In seiner Laudatio zur Verleihung des Ehrenbären an Dafoe betonte Regisseur Wim Wenders die immer präsente Güte, Warmherzigkeit und den wahrhaftigen Humanismus des Schauspielers. Aus diesen Gründen wären sogar seine finstersten Bösewichte noch irgendwie liebenswert. Bobby Hicks ist ein Paradebeispiel für diese helle, sanfte Seite des Willem Dafoe.