Ein Sieg für die Vielfalt

von Redaktion

Die Academy legte sich in diesem Jahr nicht auf einen Abräumer fest – Hollywood feierte eine pannenfreie Nacht

VOn Katja Kraft

Hollywood kann Selbstironie. Wie schade, dass man am Sonntagabend nicht gewagt hat, ein bisschen mehr davon zu zeigen – bei der mittlerweile 90. Oscar-Verleihung. Am 12. Februar 1929 war der begehrteste Filmpreis der Welt das erste Mal vergeben worden. Damals wurden gleich zwei Beiträge mit der höchsten Auszeichnung „Bester Film“ geehrt. „Also ein bisschen wie im vergangenen Jahr“, kommentiert Jimmy Kimmel trocken. Anspielung des Moderators auf den Schreckmoment der Verleihung 2017, als Schauspieler Warren Beatty („Bonnie und Clyde“) einen falschen Umschlag erhalten und deshalb das Team von „La La Land“ als Gewinner des Hauptpreises „Bester Film“ auf die Bühne gebeten hatte. Dabei war der eigentliche Sieger nicht Damien Chazelles launiges Musical, sondern das Drama „Moonlight“.

So etwas soll „Star Wars“-Legende Mark Hamill nicht passieren. Als er die Preisträger des „Besten animierten Kurzfilms“ ankündigt, flüstert er sich selbst für alle hörbar zu: „Sag’ nicht ,La La Land‘! Sag nicht ,La La Land‘!“ Ein hübscher Spaß auf Kosten der Academy of Motion Picture Arts and Sciences, der solch ein Fauxpas in ihrer langen Geschichte zuvor noch nie passiert war.

Ähnlich wie die Sache mit dem Ausschluss. Die Academy, die über die Vergabe der Oscars entscheidet, hatte bekanntlich Filmproduzent Harvey Weinstein nach den massiven Vorwürfen gegen ihn aus ihrem Kreis verbannt. Das hatte es bisher nur einmal gegeben. Natürlich knüpft Kimmel sich die Persona non grata vor. „Das“, sagt der Late-Night-Talker und deutet auf eine mannshohe Oscar-Statue. „Das ist der beliebteste Mann an diesem Abend. Er hat seine Hände dort, wo sie hingehören (er umfasst damit ein Schwert, Anm. d. Red.), sagt kein böses Wort – und vor allem: Er hat keinen Penis.“

Mittlerweile hätten die Frauen das miese Verhalten der Männer ja schon so satt, dass sie sich lieber mit Monstern einließen als mit Vertretern des anderen Geschlechts, gibt sich Kimmel zerknirscht. Und Sally Hawkins lacht in der ersten Reihe ihr bezaubernd kindliches Lachen, ist das doch ein charmanter Seitenhieb auf Guillermo del Toros „Shape of Water“, in dem sie die Hauptrolle spielt. Für ihren Part als introvertierte Putzkraft, die sich in ein monsterähnliches Wesen verliebt, war Hawkins zu Recht für den Oscar nominiert worden, musste sich aber der ebenso brillanten Frances McDormand geschlagen geben (siehe Seite 16). Del Toro jedoch gewann nach 13 Nominierungen vier Preise, unter anderem die zwei wichtigsten: „Bester Film“ und „Beste Regie“. Ungewöhnlich für das Genre Fantasy.

Überhaupt veranschaulicht die diesjährige Nominiertenliste die ganze Vielfalt, die die Filmkunst zu bieten hat. Da konkurrieren mit Del Toros Märchen für Erwachsene so unterschiedliche Werke wie Martin McDonaghs furioses Rachedrama „Three Billboards outside Ebbing, Missouri“ und Luca Guadagninos tief berührende Literaturverfilmung „Call me by your Name“ über die erste Liebe eines jungen homosexuellen Mannes in den Achtzigerjahren.

Oder: „The silent Child“, Gewinner in der Kategorie „Bester Kurzfilm“. Es ist die Geschichte eines gehörlosen Mädchens – rührend der Moment, in dem Drehbuchautorin Rachel Shenton ihre Dankesrede laut und synchron in der Gebärdensprache hält. Rita Moreno („West Side Story“) erinnert dazu passend an Frank Capra (1897-1991), der einmal sagte: „Film ist – neben der Mathematik und der Musik – eine der drei universellen Sprachen.“ Gut gemacht, versteht sie jeder, ob gehörlos, fremdsprachig, jung oder alt. Dann nämlich, wenn es dem Filmteam gelingt, die Seele des Zuschauers zu erreichen.

Besonders gut klappt das bekanntlich mit Humor. Was für eine nette Idee, zum Schluss wieder Warren Beatty den Sieger in der Kategorie „Bester Film“ verkünden zu lassen. Und – Nervenkitzel! – ja, er ist’s! Richtiger Umschlag, glückliche Gewinner – und unbändige Vorfreude auf die nächsten 90 Kinojahre. » Kommentar Seite 2

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