„Ich will noch fünf Jahre fahren“

von Redaktion

36-jähriger Radsport-Profi Marcus Burghardt bereitet sich auf die neue Saison vor

„Ich brauche den Sport – ohne geht es nicht“.

Rosenheim – Marcus Burghardt, 36, Radsportprofi vom Raublinger Team Bora-hansgrohe, hat viel zu erzählen. Im Gespräch mit der OVB-Redaktion lässt der am Samerberg lebende Burghardt seinen Gefühlen freien Lauf. Er erzählt von der Familie, persönlichen Glücksgefühlen, natürlich von der neuen Saison und dass er auch schon mal auf dem E-Bike sitzt.

Herr Burghardt, sind Sie zum Redaktionsgespräch mit dem Fahrrad gekommen?

Nein, mit dem Auto. Ich habe heute früh schon vier Stunden lang trainiert.

Die Saison ist erst vor Kurzem zu Ende gegangen und Sie haben noch immer nicht genug?

Ich stecke schon wieder in der Saisonvorbereitung für 2020. Der Stichtag für den Trainingsstart ist bei mir schon seit 20 Jahren der 1. November.

Ist das normal oder schon Besessenheit, wenn Sie jetzt schon wieder im Sattel sitzen?

Je eher man anfängt, desto mehr Ruhe hat man später. Manche fangen erst Mitte November an, ich hätte dann das Gefühl, dass ich etwas aufholen müsste.

Dieses Gefühl, etwas aufholen zu müssen – sind Sie da ein Getriebener?

Das nicht, aber man kann ein verpasstes Training nicht aufholen.

Das Training, die Vorbereitung – macht das wirklich immer Spaß?

Das ist wie bei Ihnen im Job. Auch da gibt es Tage, an denen man nicht gerne zur Arbeit geht. Die Tage habe ich genauso. Es ist mein Beruf. Wir werden dafür bezahlt und ich werde in meinem Leben sicherlich nie mehr so viel Geld mit Fahrradfahren verdienen wie jetzt. Ich habe nichts anderes gelernt, und das Radfahren kann ich halt immer noch am besten (lacht).

Sie sind jetzt 36, fahren aber immer noch wie ein Junger und sind auf Ihre Art und Weise Weltklasse. Wie können Sie mit den vielen jüngeren Profis in der Weltspitze mithalten?

Das ist hauptsächlich die Motivation. Es macht mir halt immer noch so viel Spaß. Ich trainiere abwechslungsreich und sitze nicht nur auf dem Rennrad. Ich gehe in die Berge, fahre mit dem Mountainbike und gehe Skitouren. Außerdem trainiere ich in verschiedenen Ländern Europas – mal auf Mallorca, mal an der Algarve und auch schon mal in Südafrika.

Das hört sich eher wie Urlaub an. Wie lange wollen Sie denn noch fahren? Oder bereiten Sie sich schon auf die Zeit als „Radsport-Rentner“ vor?

Das würde ich gerne machen, aber du kannst nicht sagen, wann es jetzt genau vorbei ist. Ich habe noch zwei Jahre Vertrag und was danach ist, weiß ich nicht. Vom Kopf und vom Herzen will ich auf alle Fälle noch vier oder fünf Jahre fahren. Eine Garantie dafür gibt es nicht.

Fünf Jahre sind lang. Wie sind ihre Pläne für die nächsten Wochen?

Jetzt trainiere ich bis Anfang Dezember zu Hause, dann haben wir das Team- Treffen am Tegernsee mit der ganzen Mannschaft, dann die Teamvorstellung bei Auto Eder und anschließend fliegen wir am 6. Dezember mit der Mannschaft geschlossen nach Mallorca. Ich fliege am 23. Dezember wieder zurück. Das große Ziel sind natürlich wieder die Tour de France und die Frühjahrsklassiker.

Was sagt die Familie zu Ihrem Fünf-Jahres-Plan? Sie sind ja immerhin 260 Tage im Jahr unterwegs.

Das ist nicht so ganz einfach. Als Leistungssportler musst du an gewissen Punkten egoistisch sein. Das Training geht vor und danach kommt die Familie.

Das machen Sie mit Ihrer Frau auch so klar aus?

Es geht nicht anders, wenn du erfolgreich sein willst. Wie gesagt, man muss einen gesunden Egoismus an den Tag legen, damit man vorankommt.

Wann wird es dann ungesund?

Wenn jetzt Ferien sind und ich dann auch noch zum Trainieren wegfliegen würde, dann wäre das nicht mehr ganz gesund. Das Gefühl dafür habe ich schon. Meine Frau und ich wissen aber auch, wovon wir uns ernähren. Und das ist nun mal vom Sport.

260 Tage weg von der Familie – sagen die Kinder nicht mal: Papa, bleib!

Die Kleine nicht so. Die ist ziemlich mamabezogen, aber die Größere schon. Klar ist das nicht einfach. Wenn du lange zu Hause warst und im Familienrhythmus integriert bist, dann ist das nicht so leicht. Sind es zwischendrin nur zwei oder drei Tage dann bin ich zu Hause fast nur Gast. Ein ehemaliger Profi hatte mir damals schon gesagt, ich soll mich nicht einmischen, das bringt nur Ärger. Die haben ihr System und ihren Rhythmus und wenn du versuchst, das zu beeinflussen, gibt es nur Ärger. Und so ist es auch.

Kommt da nie der Gedanke auf, dass Sie etwas verpassen?

Mit Sicherheit ist das so. Aber momentan lebe ich das noch viel zu sehr. Der Beruf erfüllt mich.

Ist das schon Sucht – kann man aus der Mühle gar nicht mehr raus?

Aus dem Sport sicher nicht. Wenn ich nicht mehr Rad fahre, mache ich einen anderen Sport. Das brauche ich. Nach meiner Karriere ist wahrscheinlich das Radfahren nicht mehr meine Nummer-eins-Sportart. Da werde ich eine andere Leidenschaft intensiver betreiben, zum Beispiel Skitourengehen.

Und ewig lockt der Berg…

So ist es. Ich liebe die Berge, weil ich das Gipfelerlebnis so super finde. Es dauert zwar eine Zeit, bis man oben ist, aber wenn man das Ziel erreicht hat, dann sind da Glücksgefühle.

Könnte es auch sein, dass Sie mal mit dem E-Bike auf den Gipfel fahren?

Mache ich ja. Da habe ich aber nicht diese Glücksgefühle wie mit dem normalen Mountainbike. Wir haben eine Gruppe mit zehn Jungs, mit denen ich eine Mountainbike-Tour über ein Wochenende mache. Wir sind nach Italien gefahren und dann haben sie mir die Strecke gezeigt. Da war ein Pass mit 13 Kilometern dabei und ich habe gesagt: ,Habt ihr einen Vogel. Ich fahre sicher in meiner Trainingspause einen 13-Kilometer-Pass hoch. Ich fahre mit dem E-Bike.‘ Ich wollte Spaß haben und mich nicht quälen. Das tue ich oft genug während der Saison.

Und? Durften Sie dann trotzdem mit?

Natürlich. Ich war der Einzige, der mit dem E-Bike mitgefahren ist. Gut, dass sie das nicht bei der Planung der Tour gewusst haben, sonst hätten sie wahrscheinlich einen Kurs mit mehreren Tragepassagen gewählt. Dann wäre die Gaudi mit dem E-Bike natürlich auch vorbei gewesen.

Zählt das mit dem E-Bike auch als Training?

(lacht) Bei uns ins Trainingstagebuch oder in die Trainingsplattform brauche ich nicht einzutragen, dass ich mit dem E-Bike trainiert habe. Aber: Man muss auch bei einem E-Bike treten. Alleine fährt das Rad nicht den Berg hinauf.

Ist es gut, dass viele Leute mit dem E-Bike auf den Berg fahren können?

Ich finde es gut, aber ich höre auch immer wieder andere Meinungen. So können auch wieder Leute, die früher auf den Berg gegangen sind, dieses Erlebnis genießen – obwohl sie, aus welchen Gründen auch immer, körperlich eingeschränkt sind.

Interview: Neumeier/Ziegler/HEISE/ HOFFMANN/WUNSAM

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