Das Tor zur dritten Meisterschaft: Mondi Hilger erzielte das game-winning-goal.
Rosenheim/Düsseldorf – Unglaublich viel kann sich binnen weniger Monate tun – das beweist die Zeit von August 1988 bis März 1989: Gefeierte Sportstars fallen vom Himmel (Dopingfall von Ben Johnson bei den Olympischen Spielen in Seoul) und ein ganzer Freistaat muss sich nach dem plötzlichen Tod seines Landesvaters (Franz-Josef Strauß) neu sortieren. Weichen für die Zukunft werden gestellt (die Benzinpreise steigen um drastische zehn Pfennige auf eine Mark pro Liter, Uwe Müßiggang wird Biathlon-Cheftrainer und Eishockey-Superstar Wayne Gretzky verlässt Edmonton in Richtung Los Angeles). Und in Rosenheim entwickelt sich eine Mannschaft, um Historisches zu erreichen.
Einziger Neuzugang war Gordon Sherven
Sicherlich gehörte Rosenheim zum Favoritenkreis um die Meisterschaft. Zehn Mannschaften spielten in der Bundesliga, die größten Chancen wurden dem amtierenden Meister Kölner EC eingeräumt, der mit Gerd Truntschka, Dieter Hegen und Helmut Steiger, Verteidiger Udo Kießling sowie den beiden Kontingentspielern Tom Thornbury und Doug Berry unglaublich starke Einzelkönner besaß. Der Mannheimer ERC wurde hoch eingeschätzt, der EV Landshut, bei dem Erich Kühnhackl seine Abschlusssaison spielte, auch die Düsseldorfer EG mit dem Traumduo Peter John Lee und Chris Valentine – und natürlich Rosenheim. Wobei sich der Vizemeister der Vorsaison darauf beschränkte, mit dem Kanadier Gordon Sherven eine der beiden Kontingentpositionen neu zu besetzen. Der Kanadier kam von den Edmonton Oilers nach Rosenheim, dazu hatte man ja noch Routinier Jaroslav Pouzar, der zuvor auch lange Jahre mit Gretzky im Team in der nordamerikanischen Profiliga NHL spielte. Ansonsten vertraute man einigen Nachwuchsspielern, die nun im Herrenbereich ihr Können unter Beweis stellen sollten – zum Beispiel Wolfgang Kummer oder Reemt Pyka. Und man vertraute einem neuen Trainer: Dr. Jano Starsi kam aus der CSSR, betreute dort zuvor die Nationalmannschaft. Am Ende stellte sich heraus, dass der Topf damit den passenden Deckel fand. Verpflichtet wurde er noch vom langjährigen Sportbund-Präsidenten Josef März, der aber noch vor Saisonbeginn starb und so den großen Triumph nicht mehr miterleben durfte.
Verletzungssorgen
im Kader
Höhepunkte der Vorbereitung: Ein 2:7 gegen die Nationalmannschaft der CSSR (Dr. Starsi: „Das Spiel zeigt, dass wir auf einem guten Weg sind“), ein 1:5 gegen ZSKA Moskau mit seinen Weltstars Larionov, Makarov, Khomutov, Bykov und Fedorov, ein 5:4 über die polnische Nationalmannschaft sowie ein 11:4-Sieg bei der Düsseldorfer EG. Es folgte ein holpriger Saisonstart mit einer Hiobsbotschaft: Beim 3:3 in Mannheim, musste Kapitän Ernst Höfner raus – doppelter Bruch am Knöchel! Mit dem 7:1-Heimsieg über Preußen Berlin gelang dann der erste Saisonerfolg, der dem SBR Schwung gab.
Sorgen bereitete lediglich der dünner werdende Kader. Kretschmer und Höfner fielen aus, Butzi Reil brummte eine Matchstrafe ab. „Im modernen Eishockey ist es ein Unding, auf Dauer mit vier Verteidigern zu operieren und drei Sturmreihen einzusetzen“, schimpfte Dr. Starsi – sein Team hielt sich damit aber nicht lange auf und nutzte den Lauf. Insgesamt blieb man 16 Spiele in Folge unbesiegt – und bekam auch noch die Punkte aus dem Auftaktspiel am „Grünen Tisch“, weil Landshut nicht spielberechtigte Akteure eingesetzt hatte.
„Die Handschrift des Trainers wird immer sichtbarer,“ titelte das Oberbayerische Volksblatt. Dr. Starsi vertraute seiner ersatzgeschwächten Mannschaft, vor allem den „Jungen Wilden“ und hatte auch das richtige Gefühl für den Einsatz von Ron Fischer – der Hüne spielte mal im Sturm, mal in der Verteidigung. „Immer dort, wo mich der Trainer hinstellt“, erklärte Fischer.
Rosenheim setzte sich auf dem zweiten Tabellenplatz hinter Köln fest, die Serie endete aber nach einem mageren 1:0-Heimerfolg über Freiburg, bei dem sich Gordon Sherven einen Bänderriss zuzog, mit einer 2:6-Niederlage im Top-Spiel bei den Haien.
Autounfall von Manfred Ahne
Man sehnte in Rosenheim die Weihnachtspause herbei. Zumal sich Manfred Ahne bei einem Autounfall das Brustbein brach und nun auch für einige Wochen ausfiel. Dennoch herrschte Optimismus an der Mangfall: „Sind wir in den Play-offs komplett, dann führt der Weg zum Titel nur über uns“, prophezeite Manager Josef Wagner.
In die gleiche Kerbe schlug auch Kapitän Ernst Höfner, der sich aus der Reha meldete: „Wenn alle fit sind, dann sind wir genauso stark wie Köln, und wir haben mit Friesen den besseren Torhüter.“
Der SBR meldete sich im Jahr 1989 stark zurück: „10500 Zuschauer sahen ein hinreißendes Spiel“, titelte das OVB zum 5:5 der Rosenheimer in Düsseldorf. Es folgte ein 12:2-Heimsieg über Schwenningen.
Letztlich sicherte man sich vorzeitig den zweiten Rang im Grunddurchgang – abgeschlossen mit einem 18:1-Schützenfest vor heimischer Kulisse gegen den EHC Freiburg: Beim Comeback von Gord Sherven reisten die Gäste mit einer etwas verstärkten 1b-Mannschaft an, da sie sofort wieder in der Abstiegsrunde ran mussten.
Im Play-off-Viertelfinale traf man auf Eintracht Frankfurt – und Ernst Höfner war wieder mit von der Partie. „Es ist erstaunlich, was der Ernst bereits wieder leistet“, war Dr. Starsi hocherfreut.
Dennoch unterlag der SBR im dritten Spiel mit 4:6, aber: Mit 9:2 fieselten die Sportbündler das Team aus Frankfurt in deren Halle ab und zogen ins Halbfinale ein.
Höfners Siegtreffer in der Verlängerung
Dort wartete Mannheim und der SBR startete mit einem 7:3-Sieg vor 7100 begeisterten Zuschauern erneut furios. Und auch im zweiten Spiel ließen die Rosenheimer nichts anbrennen. „Jaro Pouzar führte den SBR zum Sieg“, titelte das Oberbayerische Volksblatt nach der überragenden Leistung des Routiniers beim 4:1-Auswärtserfolg. Spiel drei verlief hingegen hochspannend: Nach der regulären Spielzeit hieß es 3:3, in der Verlängerung schnappte sich Ernst Höfner die Scheibe und versenkte sie nach 21 Sekunden zum Siegtreffer im Netz.
Eishockey-Rosenheim war im Meisterfieber und erneut legten die Rosenheimer einen Traumstart hin: „SB Rosenheim erteilt Düsseldorf eine bittere Lektion auf dem Eis“, schrieb das OVB nach dem 7:1 zum Auftakt der Finalserie.
Spiel zwei ging mit 4:2 an die DEG, im dritten Spiel gab es eine denkwürdige Partie auf dem Rosenheimer Eis. Der SBR hatte das Spiel nach einem Rückstand gedreht und durch Manfred Ahne gerade das 3:1 erzielt, als sich eine deftige Schlägerei entwickelte. Nach der Bekanntgabe der Strafen berieten sich die Düsseldorfer kurz und verließen dann unter Anordnung von Klubchef Josef Klüh das Eis – und das vor laufenden Kameras, denn das Spiel wurde live im TV übertragen. Nachdem die DEG nach einer gewissen Wartezeit nicht mehr zurückkam, wurde das Spiel nach 54:16 Minuten abgebrochen – und letztlich mit 5:0 für Rosenheim gewertet. Dr. Jano Starsi befand: „Es ist ein schwarzer Tag fürs deutsche Eishockey.“ Und Bundestrainer Xaver Unsinn war aufgebracht: „Das war die größte Frechheit, die im deutschen Eishockey je passiert ist. Wenn man nicht mit Anstand verlieren kann, soll man die Finger von diesem Sport lassen.“
Zwei Tore durch
Jaro Pouzar
Zwei Tage später standen sich beide Teams in Düsseldorf zum vierten Spiel gegenüber. Peter John Lee brachte die DEG in Führung, Jaroslav Pouzar drehte das Spiel im Mittelabschnitt zugunsten der Rosenheimer. Noch einmal glich Düsseldorf durch Lee zum 2:2 aus, doch Mondi Hilger und Jürgen Trattner machten mit ihren Toren im Schlussabschnitt alles klar – nicht von ungefähr schossen zwei Eigengewächse den SB/DJK Rosenheim zum dritten Meistertitel.
20000 feierte am Max-Josefs-Platz
Noch in Düsseldorf machte man die Nacht zum Tage, am Karfreitag flog man nach München zurück, wo bei der Ankunft am Flughafen bereits die Blaskapelle aufspielte. Am Karsamstag feierte Rosenheim seine Meister: Am Max-Josefs-Platz fanden sich 20 000 Fans ein und bescherten den Spielern, Betreuern und Verantwortlichen um Präsident Willi März einen unvergesslichen Empfang.
Was war das Erfolgsrezept? „Mit Friesen, Fischer, Franz, Höfner und Pouzar hatte Rosenheim echte Spielerpersönlichkeiten“, urteilte Bundestrainer Unsinn, während Manager Wagner meinte: „Ohne unseren Nachwuchs hätten wir das Handicap mit den vielen Ausfällen nicht verkraftet.“ Für Dr. Starsi war es das große Ganze: „Die Mischung aus erfahrenen und jungen Spielern hat uns an die Spitze gebracht.“ Nach den vielen Rückschlägen würde dieser Titel an ein Wunder grenzen, sagte der erfahrene Sportpädagoge aus der CSSR. Das Wunder von 1989 war dann sicherlich ein anderes – der Mauerfall. Auch hier war unglaublich, was sich in nicht mal acht Monaten veränderte. Und für Rosenheim war der Titel historisch.
Ein Video mit weiteren Bildern gibt es auf OVB online.