Küss mich – und alles wird gut!

von Redaktion

Prickelnd: „Der Vetter aus Dingsda“ als Silvester-Operette im Rosenheimer Kuko

Rosenheim – Er ist eine Art parodierter Lohengrin, zumindest, was das Geheimnis seiner Herkunft betrifft. Er komme aus dem fernen Batavia, sei ein armer Wandergesell und heiße Roderich, behauptet er. Seine Elsa heißt Julia, hat gleich zwei Vormünder und zwei Brautwerber. Julia jedoch liebt backfischhaft den seit sieben Jahren entschwundenen Vetter mit Namen Roderich, wobei sie mehr in ihre Liebe und in den Namen verliebt ist als in den Menschen.

Sektprickelndes
Silvestervergnügen

Der Ankömmling, in Wirklichkeit der verhasste Neffe des Vormunds mit dem fürchterlichen Namen August Kuhbrot, nutzt die Schwärmerei aus. Daraus ergeben sich witzige Verwicklungen, aus denen Librettist Rideamus (das ist: Fritz Oliven) eine parodistische Revue schuf, zu der Eduard Künneke eine Musik schrieb, die mit den damals neuesten Tänzen prunkt: Foxtrott, Valse-Boston, One-step, Paso doble und Tango. Und so tanzt der Vormundsneffe, der behauptet, Roderich zu sein, mit der verliebten Julia einen Tango, in dem er ihr eine ganz eigene Version von Lohengrins Frageverbot eröffnet: „Kindchen, du musst nicht so schrecklich viel denken!“

Mit der Operette „Der Vetter aus Dingsda“ bescherte das Freie Landestheater Bayern den zahlreichen Besuchern im Rosenheimer Kuko einen vergnüglichen Silvesterabend.

Julia Doppel machte als Regisseurin aus der Revue eine parodistische Märchen-Revue mit vielen Anspielungen an die Gegenwart. Die Geschichte hat auch wirklich etwas Märchenhaftes, was im Text auch immer wieder anklingt. Romeo und Julia, Lohengrin, Tischlein deck dich – alles wird verwurstet. Hannchen, die pragmatische Freundin von Julia, steckt in die vielen Matratzen, auf denen Roderich schlafen darf, schließlich gar eine Erbse.

Am Schluss kommt unverhofft das Glück für alle, sogar für Hannchen, für die ihr „Amor ex machina“ wie ein Weihnachtsmann mit einem Rentierschlitten vorfährt. Schließlich hat sie ja auch den heiligen Nikolaus um Hilfe gebeten… „Küss mich – und alles wird gut“, das ist die Märchenoperettendevise.

Mit leichter, aber präziser Hand ist die ganze Operette inszeniert. Die Choreografie, besonders die der vier chorsingenden Diener, ist witzig und passgenau.

Die Anspielungen sind intelligent: Der Diener stolpert immer wieder über den am Boden ausgelegten Tigerkopf wie der Butler James im „Dinner for one“. Dem falschen Roderich wiederum gelingt es einfach nicht, sich den Namen des glücklosen Brautwerbers Egon von Wildenhagen zu merken: Einmal nennt er ihn von Wildenbruch (wie den erfolgreichsten Dramatiker um 1900), einmal von Hagedorn (ein Dichter). Wenn der falsche Roderich singend erzählt: „Sieben Jahre lebt‘ ich in Batavia“, entfaltet die Inszenierung orientalischen Prunk.

Alle Personen singen und agieren auf natürlichste Art: Yvonne Steiner als Julia hat eine gewichtige Opernstimme, die im Verlauf des Abends immer lockerer wird, Christian Bauer erobert sie als falscher Roderich mit schmelzend-leichtem Tenor, seine Titel-Arie „Ich bin nur ein armer Wandergesell“ singt er duftig-fein und nur ganz leicht parodistisch. Carolin Ritter ist das blondgelockt-quirlige und temperamentsprühende Hannchen. Philipp Gaiser fungiert als Märchenerzähler und dann als mühelos singender echter Roderich. Matthias Degen als verfressener Onkel und Elisabeth Neuhäusler als sentimentale Tante sind ein zündendes Komiker-Paar, und Andreas Haas ist eigentlich viel zu hübsch und wirkungsvoll, um als Egon von Wildenhagen abgewiesen zu werden.

Virtuos verschränkte der Komponist Eduard Künneke spätromantische Opernmusik und Gassenhauer, seine Musik schillert und zündet, ist vordergründig sentimental und geht ordentlich in die Beine. Das groß besetzte Orchester unter der Leitung von Rudolf Maier-Kleeblatt wiederum schwelgte denn auch in den spätromantischen Klängen und ist spritzig, schmissig und manchmal sogar krachend-fetzig in den Tänzen.

Insgesamt prickelte das wie guter Sekt, machte keinen schweren Kopf und war für Silvester das Richtige.

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