Prien – Beim Herbstkonzert des Chiemgau-Orchesters standen Meilensteine der Orchestermusik im Priener König-Ludwig-Saal auf dem Programm: Die ungarische Rhapsodie von Franz Liszt (1811 bis 1886) und Antonín Dvoráks (1841 bis 1904) „Aus der Neuen Welt“. Dazwischen erklang das Hornkonzert schlechthin: Robert Schumanns (1810 bis 1856) Konzertstück für vier Hörner und großes Orchester ist symphonische Macht, Pracht und romantische Gefälligkeit.
Virtuose Effekthascherei
Um es vorwegzunehmen: Das Chiemgau-Orchester (CHO), vornehmlich aus musikalischen Laien, „leidenschaftlichen Musikern und unterstützt mit Profis“, so Orchestersprecherin Christine Böhm bei der Begrüßung, wuchs unter dem souveränen und einfühlsamen Dirigat von Matthias Linke über sich hinaus. Wenngleich im Eingangsstück die Streicher bei so manchem Ton intonatorisch noch angreifbar waren, entwickelte das ganze Orchester doch immer mehr klangliche Lebendigkeit und spannende Präzision. Plastisch greifbar, wenngleich nicht ganz so rasant, wie man die Melodie beispielsweise aus den Verfolgungsszenen des Walt Disney-Cartoons Tom und Jerry kennt, schob das CHO den Csárdás, den ungarischen Volkstanz, immer weiter voran. Vom langsamen, würdevollen ersten Teil bis hin zum Vivace: Da verwoben sich virtuose Effekthascherei und volkstümliche Melodien – ein schöner Einstieg – den das Orchester dann im zweiten Teil mit Antoniín Dvoráks Symphonie Nr. 9 „Aus der Neuen Welt“ opus 95. Ob das Werk tatsächlich amerikanische Musik enthält – wie gerne behauptet wird – ist die Frage, einige Melodien decken sich eher mit der böhmischen Folklore.
Wie dem auch sei, dem CHO gelang es, die besonderen Momente in Dvoráks 9. Sinfonie hören zu lassen, sei es das Solo des Englisch Horns oder die Querflöten. Auch die Hörner hatten einen besonderen Klang; und die Kontrabässe zupften einen Walking Bass. Präzise und leidenschaftlich dirigierte Matthias Linke dieses herausfordernde Werk. Dem CHO hier große Hochachtung, stellt das Werk doch eine interpretatorische Herausforderung dar, der das CHO durchaus gerecht wurde. Zwischen Liszt und Dvorák dann Robert Schumann (1810 bis 1856) stand das Konzertstück für vier Hörner und großes Orchester auf dem Programm.
Ein Meilenstein für Hornisten in der Konzertliteratur, hatte Solohornist Nikolaus Dengg schon vorab im Interview verraten, machte doch Schumann hier von den technischen Möglichkeiten des neuen Ventilhorns regen Gebrauch und bediente sich einer völlig freien Chromatik wie bei einem Vokal- oder Klaviersatz. Der erste und der letzte Satz sind groß-symphonisch angelegt, im zweiten Satz aber finden sich andere Klänge, einerseits Horn-Fanfaren, schillernd vom Orchester unterlegt, und andererseits über weite Strecken eine leichte, fast klassische Romantik. Das virtuose Spiel der vier Hornisten Nikolaus Dengg, Sophia Keiler, Viktor Praxmarer und Marco Baumann setzte hier ein fulminantes Ausrufezeichen (wenn nicht gar mehrere), dem sich die auf Dynamik und Schwung konzentrierte Begleitung des Chiemgauorchesters anpasste. Die beiden Zugaben – erst das Hornquartett vor der Pause und dann das Orchester am Konzertende – erzeugten großes Hörkino mit Tempo- und Emotionenwechsel. Hier die Hörner, die mit dem „Notturno“ aus Bartholdys „Sommernachtstraum“ ruhig und verträumt den Waldesklang zeichneten, dort der rasant gespielte Schlussteil aus Franz Liszt
sUngarischer Rhapsodie.
Solche klangliche Lebendigkeit bringt einen Vorgeschmack auf das Frühjahrskonzert am 9. Mai im Priener Chiemsee-Saal mit Grieg, Haydn und einem Mozartschen Klavierkonzert mit Christoph Declara.