Rosenheim – Ernst Toller war nicht nur ein bedeutender expressionistischer Dramatiker und Literat der Weimarer Republik, sondern im Jahre 1919 für kurze Zeit auch Vorsitzender der ersten Bayerischen Räterepublik. Der Germanist Andreas Salomon hat Leben und Werk Tollers mithilfe zahlreicher Fotos und Dokumente in einem Vortrag mitreißend vorgestellt. Salomon sprach auf Einladung der Goethe-Gesellschaft Rosenheim vor zahlreichen Zuhörern im Künstlerhof am Ludwigsplatz.
Gleich zu Beginn stellte er einen Bezug zu Goethe her. In seiner Autobiografie „Eine Jugend in Deutschland“ schreibt Toller, dass er die Gedichte Goethes und Schillers bereits als Knabe in dankbarer Ergriffenheit gelesen habe.
Bekannter damals
als Bertold Brecht
„Zu Lebzeiten genoss Toller großen Ruhm und war als Dramatiker bekannter als Bertolt Brecht“, wusste Salomon. Tollers Werke seien in 27 Sprachen übersetzt worden. Mit seinem lyrischen Zyklus „Das Schwalbenbuch“, das der Revolutionär in der Festungshaft schreibt, sei Toller weltberühmt geworden. Die im Buch versammelten Gedichte seien aus dem Empfinden grenzenloser Einsamkeit und Verlorenheit entstanden. Die Schwalben, die aus seiner Zelle herein- und herausflogen, bezeichnet der Gefangene als „Vögel der Freiheit“ und erlebt sie wie ein Wunder.
Geboren 1893 als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie im heutigen Polen, leidet schon das Kind am grassierenden Antisemitismus. Die reaktionäre Schule ist ihm verhasst. Mit Begeisterung zieht Toller in den Ersten Weltkrieg, erlebt in Frankreich das Massensterben und erleidet einen körperlichen und geistigen Zusammenbruch. In München studiert er Jura und Nationalökonomie und schreibt sein erstes Drama „Die Wandlung“, in dem er seine Wandlung vom Patrioten zum Pazifisten darstellt. Toller lernt Max Weber kennen und kämpft für eine Gesellschaft in Freiheit und Gerechtigkeit.
„Mit seinen Dramen will Toller die Herzen der Menschen berühren“, erklärte Salomon. Die Dramen sollten, so Tollers Absicht, stets in die politische Auseinandersetzung mit eingebaut werden. Bekannt wird der Dramatiker als erfolgreicher politischer Redner.
Seine ausdrucksstarken Reden seien, so beschreibt es ein Augenzeuge, „das Wort gewordener Wille der Masse.“ Als Toller verhaftet wird, liest er im Gefängnis die Werke bedeutender Gesellschaftskritiker, wird vom „Sozialisten aus Gefühl“ zum „Sozialisten aus Erkenntnis.“ Ausführlich schilderte Salomon Tollers Beteiligung an der Revolution von 1919, am Kampf um die Räterepublik, in deren erster Phase er Vorsitzender des Zentralrats wird. Er bleibt überzeugter Pazifist, der sich weigert, gefangen genommene Offiziere erschießen zu lassen. Nachdem die Räterepublik von den Regierungstruppen blutig niedergeschlagen wurde, wird Toller zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt.
Nach seiner Entlassung schreibt Toller weitere Theaterstücke und ist als Politiker aktiv. Als die Nazis 1933 an die Macht kommen, emigriert der Dichter ins Ausland. In einem New Yorker Hotel nimmt er sich am 22. Mai 1939 mit einem Strick, den er schon länger mit sich führt, das Leben.