Rosenheim – Ein mulmiges Gefühl beschlich einen beim Anblick der großen Werbeplakate: Der wunderbar vielschichtige Krabat-Roman von Otfried Preußler ein „Fantasy Musical“?
Klischee adé: Es gilt
das blutvolleTheater
Kaum ging der Vorhang auf, war der Zuschauer erleichtert, denn er blieb absolut von den Klischees amerikanisch durchtränkter Amüsement- oder Horror-Muster verschont. Schon die Kulissen und Requisiten auf der Bühne signalisierten in ihrer raffinierten Einfachheit, dass die Theatertruppe „a.gon“ mit Pfiff und Empathie blutvolles Theater machen wollte, ein „Schauspiel mit Musik“, wie es im Programmheft treffend benannt wird. Statt „Fantasy“ war schöpferische Fantasie am Werk. Fürs „Musical“ genügte ein Trio mit Keyboard (Christian Auer), Gitarre (Adrian Ingerl) und Geige (Christian Bihlmaier). Der „Mann am Klavier“, Christian Auer, hatte behutsam und mit theatralischem Spürsinn eine ansprechende Musik komponiert und den wichtigen Protagonisten im zweiten Teil lyrisch-melancholische Songs auf den Leib geschrieben. Die Geschichte ist bekannt: Krabat, der Waisenjunge, gerät in den Bannkreis der Mühle im Koselbruch und wird dort Lehrjunge. Der „Meister“, in Wirklichkeit ein machthungriger Hexer, der seine Zaubermacht dadurch abbezahlt, dass er dem Tod, dem „Gevatter“, jährlich als Tribut einen seiner Gesellen überlässt. Diese schrecklichen Hintergründe jedoch bekommt Krabat erst so nach und nach spitz. Vorerst ist er fasziniert von den belustigenden Möglichkeiten einer scheinbar harmlosen Zauberei. Regisseur (Stefan Zimmermann), Bühnenbildnerin (Monika Maria Cleres) und Choreografin (Eva Patricia Klosowski) setzten in der Bühnenfassung von Nina Achimow nicht auf Illusion, sondern auf Stilisierung.
Warum ein Mühlrad
auf der Bühne?
Eine große, drehbare Scheibe lag auf dem Bühnenboden – das war ein Mühlrad, aber auch der Kreis, in dem man durch kleine Tricks sich dem scharfen Blick des Meisters entziehen konnte. Und bei der Kirmes in Schwarzkolm drehten sich auf dieser Scheibe ausgelassen die Tänzer, von bunten Bändern umflattert.
Der Regisseur legte den Fokus möglichst auch nicht auf Horror, sondern war um genaue und sehr feine Charakterzeichnung bemüht. Allen voran traf Richard Peter als Krabat den richtigen naiven und glaubwürdigen Ton. Altgeselle Tonda (Benedikt Bader), der als Nächster auf des Meisters Abschussliste stand, berührte unmittelbar als tragische Figur, schwankend zwischen Resignation und stiller Verzweiflung. Der liebenswerte „Dummkopf“ Juro (Johannes Nepomuk) entpuppt sich schließlich als höchst intelligenter Durchblicker, der genau weiß, wie der Hase in der Mühle läuft, und der dadurch Krabat hilfreich zur Seite stehen kann. Der Meister selbst war eine furchterregende Gestalt, eitel, drohend, schmeichelnd, auftrumpfend, und doch wusste Oliver Severin ihn nun wahrhaft meisterhaft als im Grunde kaputten Typen darzustellen.
Nur eine einzige Quotenfrau mischt den „Männerbund“ auf: Catherine Joos als die „Kantorka“, die durch ihre unbedingte Liebe zu Krabat diesen und seine Kollegen aus der Macht des Bösen befreit.
Faszination des Bösen
ist das Schaurige
Otfried Preußler hatte sich immer gegen eine plakative „Moral von der Geschicht‘“ ausgesprochen. Man hat ihm deshalb auch den Vorwurf mangelnden politischen Engagements gemacht. Doch die Faszination durch das Böse ist das eigentlich Schaurige an der Story. Vielleicht haben das die vielen Jugendlichen wahrgenommen, die sich auch über die burlesken Szenen, den Ochsenkauf etwa, den Ulk mit den dümmlichen Soldatenwerbern oder die Akrobatik des Harlekin bei der Kirmes amüsieren durften. Schade, dass die Halle nicht ausverkauft war. Die atemlose Stille während des Spiels und der überschäumende Beifall danach bewiesen eindrucksvoll: Krabat ist angekommen!