Rosenheim – Die Tiroler Festspiele Erl sind immer neugierig auf neue Musik, aber auch auf zu Unrecht vergessene Musik. Neben der Kammeroper „Caliban“ von Moritz Egger erregt heuer die Oper „Die Vögel“ von Walter Braunfels Aufmerksamkeit, die am 20. und 27. Juli aufgeführt wird. Diese 1920 uraufgeführte Oper vertont die gleichnamige Komödie von Aristophanes, die einen Streit zwischen den Vögeln und Zeus zum Inhalt hat. Walter Braunfels wurde 1882 geboren, war als „Jahrhunderttalent“ so erfolgreich wie Richard Strauss, wurde aber von den Nazis verfolgt und im Nachkriegsdeutschland vergessen, 1954 starb er.
Dirigiert wird die Oper von Lothar Zagrosek. Er wird 1942 in Otting am Waginger See geboren, seine Familie zieht in den 50er-Jahren nach München, der kleine Lothar kommt zu den Regensburger Domspatzen, wo er als Sängersolist schon Erfolge hat. Später wird er ein gefeierter Generalmusikdirektor in Stuttgart und wird dreimal von der Zeitschrift „Opernwelt“ als „Dirigent des Jahres“ ausgezeichnet. Die OVB-Heimatzeitungen konnten mit ihm, der gerade in Italien weilt, ein Gespräch führen.
Herr Zagrosek, Sie waren lange Generalmusikdirektor an der Württembergischen Staatsoper in Stuttgart, haben sich besonders um die zeitgenössische Musik verdient gemacht und vor allem viele vergessene Werke der sogenannten „entarteten Musik“ aufgeführt. Was reizt Sie daran so?
Erstens die Neugierde. Dass ich neue Stücke entdecke und finde, auch im Bewusstsein, dass sich der Repertoirebetrieb immer mehr verengt auf immer weniger Stücke. Ich finde es unheimlich wichtig, dass man die vielen, vielen Partituren, die es sonst noch gibt, zum Klingen bringt. Und: Schließlich fliege ich mit dem Flugzeug und fahre Auto und reite nicht mehr mit dem Pferd.
Jetzt dirigieren Sie die Oper „Die Vögel“ von Walter Braunfels bei den Tiroler Festspielen. Sie haben diese Oper 1994 zum ersten Mal aufgenommen. Was fasziniert Sie so an diesem Werk?
Erstens einmal die Geschichte dieses Stückes. Die Oper war eine der meistaufgeführten in den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Ich habe ein Bewusstsein entwickelt dafür, was damals an verschiedenen Stilformen gleichzeitig möglich war. Diese Musik geht ja in eine Zeit noch vor Richard Strauss zurück, obwohl Braunfels dessen Zeitgenosse war, und hat überhaupt nichts zu tun mit Schönberg und der Zweiten Wiener Schule, auch nach dem Krieg nichts mit Boulez und Stockhausen in Darmstadt, sondern er hat wirklich in seiner Vorstellungswelt gelebt, die eigentlich damals schon nicht mehr aktuell war. Trotzdem: Die größten Dirigenten seiner Zeit haben die Oper aufgeführt, so Otto Klemperer und Hans Knappertsbusch, Bruno Walter hat sie uraufgeführt. Braunfels war mit Furtwängler sehr befreundet, weil seine Frau vorher sieben Jahre lang die Verlobte von Furtwängler gewesen war: Er war mittendrin in dem damaligen kulturpolitischen Kosmos.
Können Sie die Musik beschreiben? Man hat Sie mit der von Berlioz, Wagner und Puccini verglichen. Stimmt das?
Ich kann das nicht nachvollziehen. Wo Puccini sein soll, weiß ich überhaupt nicht. Es ist eher eine Musik, bei der man auch an die silberne Operettenära in Wien denken kann. Franz Schreker steht ihm nahe, auch Hans Pfitzner. Von Richard Strauss sind die alle sehr beeinflusst.
Können Sie sagen, warum nach dem Krieg diese Musik nicht mehr gefragt war? Wollte man keine Musik mehr, die „ergreift“ wie die von Braunfels?
Durch die Hitlerzeit waren bestimmte Stilepochen so denunziert, dass man damit einfach nicht mehr weitermachen wollte. Man wollte den unbedingten, krassen Neuanfang. Der ist ja dann vollzogen worden und hatte zur Folge, dass eine ganze Reihe von Komponisten total unterdrückt worden ist, die eigentlich ein zweites Mal ein – wenn auch unausgesprochenes – Aufführungsverbot erlitten haben. Das kann einen traurig machen.
Es gibt bekanntlich keine lustige Musik – sind „Die Vögel“ aber eine heitere Oper? Worauf können wir uns freuen, wenn wir nach Erl fahren, um uns diese Oper anzuschauen?
Es ist eine anrührende Oper, eine sehr romantische Oper, die große Chortableaus, aber auch sehr ausführliche intime Szenen hat, die musikalisch sehr anrührend gestaltet sind. Der zweite Akt ist eine Art Sommernachtstraum, der wirklich absolut zu Herzen geht.
Waren Sie in die Inszenierung, in die Regie von Tina Lanik eingebunden?
In dem Fall nicht: Der Intendant Andreas Leisner war froh, dass er – nach dem Abgang von Gustav Kuhn – einen Dirigenten gefunden hatte, der sich dem Werk stellen wollte, da hab ich nicht viel reingesprochen. Ich hab mich mit Fragen eingeschaltet, wir haben uns am Telefon abgesprochen und Tina Lanik kam zu mir nach Berlin. Eine richtige Zusammenarbeit hat erst stattgefunden in Erl.
Das ist dann eine wirkliche Ehrenrettung für Walter Braunfels?
Absolut, dafür ist es auch gedacht. Da freue ich mich drauf. Und das Publikum kann sich auch freuen drauf. Es ist eine Oper aus einer anderen Zeit.Interview: Rainer W. Janka