Franz Pichler,
Raubling
Wasserburg – Machtvoll und fast erleichtert-froh fließt der Schlusschor in schwungvollem Tempo: „Höchst vergnügt schlummern da die Augen ein“, heißt es da. So endet die Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach, dieses „Werk von einzigartigen Ausmaßen und unvergleichlicher Erhabenheit“, wie der Dirigent John Eliot Gardiner in seinem Bach-Buch schreibt. Der Wasserburger Bachchor und das Bach-Collegium Wasserburg unter der Leitung von Angelica Heder-Loosli führten diese Passion am Karfreitag im Wasserburger Rathaussaal auf.
Heder-Loosli hatte die Passion leicht gekürzt, sorgte für immer vorantreibende Tempi und hob dabei, wie eben im Schlusschor, hervor, wie viele Dreiertakte, ja wie viele tänzerische Elemente diese Passion enthält. So hatte auch der Eingangschor weniger den Anschein eines Kirchenzuges als den eines 12/8-Schreittanzes, in dem Bach schon mit den Zahlen spielt: Es vermischen sich da die göttliche Drei und die weltliche Vier. Insgesamt bestätigte diese Aufführung das, was die Altistin singt: „Das gehet meiner Seele nah.“
Ein Hauptträger der Stimmung ist der Chor. Der zeigte sich als sehr gut einstudiert und mächtig-blockhaft singend. Genau zeichnet er die Volksstimmung nach: mal empört, mal verzweifelt, mal höhnisch-schreiend („Weissage uns!“), bei den „Kreuzige!“-Rufen richtig hetzig-geifernd und gellend („Barrabam!“), sarkastisch-hasserfüllt („Ich bin Gottes Sohn!“) und dann ergreifend-staunend: „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn!“. Die dunkel rollenden Bässe und blitzzackenden Sopranstimmen skandierten genau den – wiederum – Dreiertakt im „Blitze-und-Donner“-Chor. Immer artikulierte der Chor hervorragend konsonantendeutlich, auch und vor allem in den Chorälen. Nur bei „O Haupt voll Blut und Wunden“, das a cappella gesungen wurde, gab’s Anfangsunsicherheiten. Die Haager Spatzen (Einstudierung: Susanne Philippzig), die schon im Anfangs- und Mittelabschlusschor leuchtend den Choral darüber gesungen hatten, sangen auch den Sopran der Choräle mit.
Mitten aus dem Chor kamen die Volks-Solisten: die zwei treffsicheren Mägde, die zwei heuchlerisch-wütigen Hohepriester, die vor Verwirrung durch die Noten irrenden zwei Zeugen und Martin Hörberg, der mit kraftvoller Emphase den zweifelnden und dann verräterischen Judas, den verleumdenden Petrus und den unsicheren Pilatus sang.
Als Evangelist hatte der junge Julian Habermann vor allem im zweiten Teil Unsicherheiten, zeigte aber eine herrlich freifließende Tenorstimme und hielt die Mitte zwischen Bericht und Empörung. Vor allem im Zusammensang mit Thomas Hamberger als Christus gelang beiden in der Ölbergszene tiefe Ergriffenheit. Hamberger war als Christus milde, schmerzend-weise und würdevoll-wissend, er suchte in den Rezitativen das Melodische, gestaltete seine „Eli!“-Rufe gottverlassen-traurig und war balsamisch in seinen Arien. Roswitha Schmelzl führte ihren etwas nach innen gerichteten hellen Sopran sehr zielgerichtet-linear und sang hingebungsvoll ihre Arien, „Aus Liebe will mein Heiland sterben“ war ein innig-zarter Ruhepol. Ulrike Malotta steuerte mit ihrem volltönend-sinnlichen Alt immer wieder in die Forte-Regionen, so dass ihre „Erbarme-dich!“-Arie sich wie ein Hilfeschrei anhörte.
Das Bach-Collegium Wasserburg realisierte alles, was Bach an tropfenden Zähren, klagenden Seufzern, knirschenden Sünderherzen und schwimmenden Tränen vorschreibt, die Flöte (Alice Guinet) sang in der „Liebes-Arie“ der Sopranistin noch melodischer als diese, die Oboen (Sibylle Gottschwewski, Inga Däubner, Carola Sigling) sorgten für dunkel gefärbte Trauer. Tadellos spielte Marija Hackl ihren Part in der „Erbarme-dich!“-Arie und schwungvoll Rainer Heilmann seine Begleitung der Bass-Arie.
Alles aber hatte Angelica Heder-Loosli in ihren taktstocklosen Händen, in den Rezitativen gab sie nur den Anfangsimpuls, sonst gingen alle Impulse von ihr aus, die Chorsänger wussten sich in sicheren Händen. Rechtschaffen erschöpft nahm sie mit allen Mitwirkenden den lang anhaltenden Applaus entgegen.