Kiefersfelden – „Schön war’s, wie immer“, meinte anschließend die stellvertretende bayerische Ministerpräsidentin Ilse Aigner. Und wie in den Vorjahren schwitzen die Theaterbesucher während der rund dreistündigen Aufführungen im alt-ehrwürdigen Theater wieder tüchtig. Aber auch das hält niemanden ab, es gehört fast schon dazu und ist lieb gewordene Tradition. Die Gäste werden mit Handschlag begrüßt, an der Kasse sitzt der Bürgermeister und in den Pausen gibt es Schorle oder Limo oder Bier aus der Flasche. Wer Hunger verspürt, kann sich eine Wurstsemmel kaufen. Also nix mit schicken Häppchen oder Schampus. Es würde auch gar nicht in diese Atmosphäre passen, so zwischen Lederhosen und Dirndl und einem Traumblick auf den Kaiser.
Für die Kieferer ist es eine Ehre und eine Verpflichtung, auf diesen Brettern in „ihrem“ Volkstheater zu stehen. Man reißt sich um die Rollen. Als nun Spielleiter und „Kasperl“-Darsteller Andi Gruber so plötzlich verstarb, waren alle zunächst geschockt und gelähmt. Aber auch das zeichnet die Kieferer Theaterer aus: Schnell sei klar gewesen, dass es weiter gehen müsse. Flott musste so manche Rolle neu besetzt werden, und keiner entzog sich der neuen Aufgabe. „Das hätte er sicher gewollt. Er wird von einer Wolke aus auf uns herabschauen und zufrieden sein“, sagte Philipp Kurz, Vorstand der Theatergesellschaft Kiefersfelden, vor Premierenbeginn zum Publikum.
Der neue „Kasperl“ ist in dieser Spielsaison Sepp Goldmann. „Eigentlich hätte ich zwei verschiedene Ritterrollen gehabt. Aber es war mir eine Ehre, gefragt zu werden, ob ich den Kasperl mache.“ In sage und schreibe fünf Tagen hätte er den Text auswendig gekonnt. „Das war auch nötig, denn wir hatten nur noch wenig Zeit für die restlichen Proben. Es musste alles sitzen“, erklärt Goldmann in seinem blau-roten Kostüm. „Auch das hat gleich ganz gut gepasst“, lächelt er und streicht sich über seinen Bauch.
Mit Schild und Hellebarde und einem Ritterhelm auf dem Kopf, den roten Wangen und den hochgezogenen Augenbrauen sieht er nicht wie der bekannt lustige Kasperl aus. Er wirkt eher verschmitzt. Selbstbewusst blickt er hinter die Kulissen der Gesellschaft am Hofe von „Kaiser Oktavianus“. Und so legt er auch seine neue Rolle an: scherzend und frech, direkt, kritisch gegen die Obrigkeit, ein Mann aus dem Volk. Er duckt sich gekonnt weg, wenn es brenzlig wird, zieht seinen Kopf immer aus der Schlinge – und spürt aber auch, wann es genug ist.
Ganz anders Mangold, der große Gegenspieler des Kaisers Oktavianus. Getrieben vom Ehrgeiz, die Kaiserkrone zu erlangen, schmiedet er Ränke, wo er kann. Er ist skrupellos und geht über Leichen. Nur kurz sind seine Anwandlungen, zum Guten und Ehrlichen zurückzukehren, doch dann gewinnen wieder sein Ego, sein Stolz und sein unersättlicher Ehrgeiz die Oberhand.
Das Stück steht
im Vordergrund
Er ist sogar bereit, ohne mit der Wimper zu zucken, seine „große Liebe“, die Kaiserin Dianora, bei ihrem Gemahl zu verleumden und sie samt ihrer beiden frisch geborenen Zwillinge ins Unglück zu stoßen. Böser geht’s kaum! Diese Getriebenheit ist perfekt in den Augen des Schauspielers abzulesen. Sein Name? Unbekannt, und so soll es bleiben, meinen die Kieferer, die ihn natürlich alle kennen. Aber auch das gehört zu dieser Tradition des Volkstheaters in der Kiefer. Das Stück, die Aussage, sie soll im Vordergrund stehen und nicht der Name eines Darstellers. Vielleicht gibt es deshalb dieses Volkstheater seit 400 Jahren? Der Kaiser Oktavianus – er hält große Stücke auf seinen Vetter Mangold, durchschaut dessen politische Intrige nicht. Ahnungslos folgt er ihm Schritt für Schritt. Zeitlos aktuell?
Und dann hüpft plötzlich ein kleines, fast schüchternes Äffchen auf die Bühne. Flink packt es eines der Zwillingsbabys der verstoßenen Königin, die an einem Rastplatz unter schattigen Bäumen im Wald eingenickt ist. Doch so flink, wie das Äffchen gekommen ist, ist es mit seiner „Beute“ auch wieder verschwunden. An den kleinen Händen und Füßen ist dem Zuschauer schnell klar: Unter dem haarigen Affenkostüm muss ein Kind stecken. Und tatsächlich: Es ist Christoph Gruber, der zehnjährige Enkel von Andi Gruber, dem so plötzlich verstorbenen Spielleiter und langjährigen „Kasperl“. Auch der Opa habe einmal vor vielen Jahren in diesem Kostüm gesteckt. Dann, nach etlichen Rollen, wurde er Spielleiter. Ob Christoph auch dazu Lust hat? „Na klar“, lacht der Bub. So viel Tradition – wohin man schaut.
Aber ist es nur Tradition? Oder geht es hier nicht viel mehr um den – derzeit allerdings arg strapazierten – Begriff „Heimat“? Die Kieferer leben hier ihre Heimat: Ihr Dorf, ihre Kirche, ihren Kaiser und natürlich ihr Volkstheater. „Mia ghearn alle zam“, meint der Bub. Und das ist vielleicht der Grund, warum immer noch, nach 400 Jahren, die Leute kommen und sich ein Zipfelchen dieses Gefühls mit nach Hause nehmen wollen.
Weitere Aufführungstermine sind immer samstags vom 4. August bis 15. September, jeweils um 19 Uhr, sowie sonntags, 19. August, 2. September, 16. September, jeweils 13.30 Uhr. Eine Zusatzvorstellung ist Freitag, 24. August, 19 Uhr. Kartenvorverkauf bei der Kaiser-Reich-Info Kiefersfelden, Telefon 08033/976545, bei der Tourist-Info Oberaudorf, Telefon 08033/30120, an den München-Ticket-Vorverkaufsstellen sowie an der Theaterkasse jeweils eine Stunde vor Spielbeginn.